junge Welt 23.8.1999 »Graue Wölfe« in der BRD verstärkt aktiv? jW fragte Sakina Polat, Sprecherin des Kölner Vereins AGIF, einer Organisation türkischer Arbeitsmigranten F: Köln ist der Hauptsitz der meisten türkischen und kurdischen Exilorganisationen in Deutschland. Nach der Festnahme Öcalans und der Regierungsbeteiligung der faschistischen Partei MHP in Ankara ist in der Stadt am Rhein der Druck auf linke Exilanten drastisch angestiegen. »Graue Wölfe«, die oft in türkischen Idealistenvereinen, den Vorfeldorganisationen der MHP, organisiert sind, scheuen selbst vor Mord nicht zurück. Am 1. Juli wurde Erol Ispir ermordet, der für Ihren Verein tätig war. Wie beurteilen Sie die momentanen Einflußmöglichkeiten der türkischen Faschisten - in der Türkei und auf die Exilgemeinden in Deutschland? Der jüngste Wahlerfolg in der Türkei kam vor allem aufgrund der Hetzkampagne gegen die Kurden zustande. Vorher hatte die MHP nie über zehn Prozent der Wählerstimmen erhalten. Nach der Festnahme von Abdullah Öcalan, dem Vorsitzenden der PKK, wurde eine unglaubliche Propagandaschlacht gegen Kurden und Linke in der Türkei gestartet. Jetzt, wo die MHP Regierungspartei ist, werden Vereinslokale demokratischer Parteien gestürmt und bisher legal durchgeführte Demonstrationen verboten. In Kurdistan, wo ohnehin der Ausnahmezustand herrscht, ist die Lage noch drastischer. Und auch in Deutschland haben wir beobachten müssen, daß sich Angriffe der »Grauen Wölfe« verschärft haben. Linke und demokratische Vereinigungen sind häufiger Zielscheibe tätlicher Angriffe. F: In Köln hat die MHP einen ihrer bedeutendsten Standorte in der BRD. Gab es schon vor dem Mord an Erol Ispir Anzeichen für die neue Offensive der Rechten? Nach der Wahl hat die neue türkische Regierung behauptet, mit der Festnahme Öcalans hätte sie den »Terrorismus« in der Türkei beseitigt. Nun wolle man auch dem »Terrorismus« in Deutschland und Europa ein Ende bereiten. Bald danach gab es die ersten Übergriffe gegen demokratische und linke Einrichtungen in Deutschland. Bei uns in Köln-Kalk wurden beispielsweise mehrmals die Scheiben eingeworfen und Besucher unseres Vereinslokals am hellen Tag auf offener Straße zusammengeschlagen und dabei als »Kurden« beschimpft. F: Wie wollen Sie sich gegen die Angriffe verteidigen? Direkt nach dem Mord haben wir uns mit anderen Gruppen und Einzelpersonen zusammengeschlossen. Bei den ersten Diskussionen über Handlungsperspektiven fiel uns auf, daß die meisten unserer deutschen Nachbarn, aber auch linke Gruppen und Organisationen, kaum etwas über die Methoden und Ziele der MHP wissen und die Auseinandersetzung als einen »innertürkischen« Konflikt betrachten. Nun sind einige Veranstaltungen geplant, die vor allem auch Deutsche ansprechen und über die Politik der Faschisten auch hierzulande aufklären sollen. F: Gibt es Organisationen aus Deutschland, die die neue politische Situation nicht als »innere Angelegenheit« betrachten, sondern Ihnen ihre Unterstützung angeboten haben? Unmittelbar nach dem Mord an Erol Ispir gab es Einzelpersonen und auch einige Gruppen, die ihre Solidarität bekundet haben. Trotzdem spürten wir bisher wenig Solidarität, wie wir sie bräuchten. Unter Solidarität verstehen wir nicht nur die Unterstützung, wie sie uns anläßlich des Mordes an Erol zuteil wurde, sondern Solidarität vor allem in unserem Kampf gegen die faschistische MHP. Viele linke Gruppen in Deutschland empfinden die Gefahr, die von der MHP ausgeht, als weniger bedeutend und beschäftigen sich eher mit rechten Organisationen aus Deutschland. Wir meinen, sie verkennen dabei ernste Gefahren. F: In diesem Punkt sind jene Gruppierungen erstaunlicherweise nicht weit von den Einschätzungen der Verfassungsschutzbehörden entfernt. Im Bundesverfassungsschutzbericht ist schon seit mehreren Jahren nichts mehr über die »Grauen Wölfe« zu lesen, und auch das Landesamt für Verfassungsschutz in Nordrhein- Westfalen hat im Mai den 98er Bericht veröffentlicht, in dem erstmals die Idealistenvereine nicht mehr erwähnt werden. Welche Erfahrungen hat Ihre Organisation mit deutschen Behörden gemacht? Von der MHP geht nach wie vor Gefahr für türkische Migranten, aber auch für Deutsche aus. Das belegt nicht nur der Mord an Erol Ispir. Doch nun ist die MHP Regierungspartei und wird mehr als zuvor mit Samthandschuhen angefaßt. Nach unseren Informationen ermittelt die Polizei überhaupt nicht in den rechten Strukturen der türkischen Gemeinde in Köln. Dabei bewegten sich die beiden, die bisher als Täter ermittelt wurden, stets im Umfeld der »Grauen Wölfe« und waren vorher schon an Aktionen gegen Kurden und unser Vereinslokal beteiligt. Doch auch solche Hinweise konnten die Polizei nicht dazu bewegen, Ermittlungen in diese Richtung aufzunehmen. Interview: Gerhard Klas, Köln |