Rhein-Neckar-Zeitung, 24.8.1999 Experten rechnen mit schweren seelischen Folgen für Erdbebenopfer Köln (dpa) - Experten rechnen mit schweren seelischen Folgen für einen Teil der Überlebenden der türkischen Erdbebenkatastrophe. Von den mehr als 30 000 aus den Trümmern Geretteten werde etwa ein Drittel künftig unter einem Trauma leiden, sagte Prof. Gottfried Fischer, Direktor der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Köln, am Montag der dpa. Etwa jeder zehnte Überlebende einer Katastrophe gehöre zu einer «Hochrisikogruppe», bei der das «psychotraumatische Belastungssyndrom» chronisch werde. Mit seelischen und körperlichen Folgen mache es den Rest des Lebens zur Qual, sagte der Experte in einem dpa-Gespräch. Dies seien weltweite Erfahrungen nach Katastrophen, «und hat nichts mit Kulturkreis oder Charakter zu tun». Wichtig sei nun im Katastrophengebiet unter den Überlebenden eine fachgerechte Ermittlung der Risikogruppe, des weiteren Drittels der «Selbstheiler» und derjenigen Menschen, die je nach fachlicher Beratung und sozialer Unterstützung zu der einen oder anderen Gruppe tendieren. Fischer: «Es müssen natürlich nicht alle Betroffenen Therapie machen.» An der Uni Köln mit internationalen Erfahrung auf diesem Feld könnten türkisch sprachige Mitarbeiter auf Wunsch Psychologen aus der Türkei beraten, bot Fischer an. Notwendig sei momentan auch eine rasche Weiterbildung der Katastrophenhelfer, um vor allem Menschen der Risikogruppe früh erkennen zu können. Zum Gelingen einer Therapie sei es auch wichtig, «bestimmten irrationalen religiösen Überzeugungen entgegen zu treten», erklärte der Psychologe. Ein nach etwa einem Jahr «psychologisch konsolidiertes» Trauma habe Veränderungen in Hirn und Körpermuskulatur zur Folge, beschrieb Fischer. Muskelspasmen aus einer verhinderten Fluchtreaktion gingen einher «mit Erinnerungen, die nicht in einen Kontext eingeordnet werden können». Dies führe dazu, daß die Opfer die schrecklichen Erlebnisse im Geiste immer wieder durchlebten, «als ob es Wirklichkeit wäre». |