taz, 24.8.1999 45.000 Leichensäcke für die Türkei Die Regierung in Ankara hat die Hoffnung auf Rettung von Menschen aufgegeben. Dennoch werden noch immer Überlebende geborgen. Das Militär geht gegen Plünderer vor Istanbul/Berlin (AP/dpa/taz) - Eine Woche nach dem verheerenden Erdbeben hat die türkische Regierung anscheinend jegliche Hoffnung auf weitere Überlebende aufgegeben: Die Behörden in Ankara hätten die UNO gebeten, bei der Beschaffung von 45.000 Leichensäcken zu helfen, teilte gestern UN-Sprecher Sergio Piazzi in Genf mit. In der Stadt Yalova wurde aber 171 Stunden nach dem Erdbeben ein vierjähriger Junge lebend geborgen. Heftiger Regen ließ die Seuchengefahr ansteigen. "Wir schalten um von der Phase ,Suchen und Retten' auf eine akute Notfall-Phase", sagte Piazzi . Noch sei aber die Hoffnung nicht aufgegeben, Überlebende zu finden. Die amtliche Zahl der Todesopfer stieg auf 12.134. Befürchtet werden bis zu 45.000 Tote. Obdachlose Überlebende der Katastrophe, die bislang unter Zeltplanen oder aufgespannten Decken kampiert hatten, mussten sich wegen des Regens neue Quartiere suchen. Der Arzt eines israelischen Hilfsteams nannte den Regen eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits spüle er Dreck fort, in dem sich Krankheitserreger tummelten. Wenn es andererseits wieder warm werde, seien die Pfützen ideale Brutstätten für Mücken und Fliegen, die Krankheiten übertragen könnten. Mit der Abkühlung und der Feuchtigkeit steigt für viele Ältere und für Kinder die Gefahr, sich zu erkälten. Der Regen erschwert auch die Arbeit der Bergungstrupps, weil Trümmerberge ins Rutschen geraten können. Der türkische Gesundheitsminister Osman Durmus rief gestern die Menschen in der Umgebung der Ölraffinerie von Izmit auf, das Gebiet zu verlassen. Fachleute erwarten, dass mit dem Regen auch Schadstoffe auf die Erde gelangen, die bei dem riesigen Raffineriebrand nach dem Erdbeben in die Atmosphäre aufgestiegen waren. Ein niederländisches Unternehmen soll 30.000 vorgefertigte Notunterkünfte in das Erdbebengebiet liefern. Ein entsprechender Wunsch sei am Wochenende vom Krisenzentrum in Izmit geäußert worden, sagte gestern ein Sprecher von Quick Home Systems. Die Unterkünfte sollen den Obdachlosen das Überwintern ermöglichen. Türkische Medien berichteten gestern, Bauunternehmen des Landes hätten damit begonnen, Materialien für den Wiederaufbau zu horten. Man warte nur noch auf entsprechende Aufträge. Die Tageszeitung Cumhuriyet berichtete, es habe sich ein regelrechter Schwarzmarkt für Hilfsgüter entwickelt. Zwei der illegalen Händler seien bereits verhaftet worden. Plünderer würden aus anderen Landsteilen in das Erdbebengebiet reisen, um Schnäppchen zu erhaschen. taud |