taz, 25.8.1999 "Man muss den Kreis erweitern" Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, über geltende und großzügigere Einreiseregelungen taz: Das Innenministerium verspricht Erdbebenopfern Ausnahmevisa. Das hört sich großzügig an. Was kritisieren Sie? Marieluise Beck: Die Regelung betrifft nur Ehegatten und Kinder unter 16 Jahren von hier lebenden türkischen Migranten. Für Großväter und Großmütter, für Onkel und Tanten, aber auch für Kinder von Verwandten gilt: Dort darf nur in dringenden humanitären Einzelfällen so verfahren werden. Und da bin ich doch skeptisch, ob wir in der Praxis zu einer so großzügigen Auslegung kommen, wie wir sie in einer Katastrophensituation brauchen. Innenminister Schily nennt diese Regelung unbürokratisch. Teilen Sie seine Einschätzung? Wer jetzt kommen darf, konnte auch vorher schon im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kommen. Deshalb ist dieser Kreis ziemlich klein. Für die Betroffenen wird das Verfahren über die deutsche Botschaft, das normalerweise zwei bis drei Wochen dauert, außer Kraft gesetzt. Sie können sich in der Tat unbürokratisch am Flughafen Istanbul zu einem Team des deutschen Bundesgrenzschutzes begeben und erhalten den sofortigen Zugang nach Deutschland. Beim BGS müssen die Katastrophenopfer allerdings erst Papiere über Papiere vorlegen: die Aufenthaltserlaubnis ihrer Verwandten in Deutschland, eine "Glaubhaftmachung des Verwandtschaftsverhältnisses", den Nachweis, dass sie aus dem Erdbebengebiet kommen. Schwierig wird es tatsächlich für Menschen, deren Hab und Gut verschüttet ist und die überhaupt keine Papiere mehr in der Hand haben. Es besteht aber der Wille, für den Kreis der Zugangsberechtigten alles sehr schnell zu regeln. Das Innenministerium stellt das BGS-Team bereits zusammen. Wie sähe eine großzügigere Lösung aus? Man muss den Kreis der Angehörigen erweitern. Wenn ich Verwandte irgendwo entfernt in der Welt habe, denen das Haus über dem Kopf zusammengefallen ist, die ihre Kinder verloren haben, dann ist es ein ganz normaler menschlicher Impuls, ihnen erstmal Linderung zu verschaffen, indem ich sie zu mir hole. Warum verweigert Deutschland diese Hilfe? Dahinter steckt immer die Furcht, dass aus einem vorübergehenden Aufenthalt eine Zuwanderung werden könnte. Der Kosovo-Konflikt ist da ein gutes Gegenbeispiel: In der Minute, nachdem ein Zugang in den Kosovo möglich war, machten die Menschen sich auf den Rückweg zu ihren Häusern, selbst wenn es nur noch Ruinen waren. Interview: Patrik Schwarz |