Frankfurter Rundschau 25.8.1999 Frieden als Vermächtnis? Der zum Tode verurteilte Kurdenführer Abdullah Öcalan ruft die kurdischen Rebellen in der Türkei auf, auch dann auf dem eingeschlagenen Kurs der Gewaltfreiheit zu bleiben, wenn er hingerichtet werden sollte. Das bestätigte sein Anwalt Dogan Erbas im Gespräch mit FR-Redakteur Edgar Auth in Frankfurt am Main. Die Kurdische Arbeiterpartei PKK folgt Öcalans Anweisungen bislang. Die jüngste Erklärung Öcalans zum Gewaltverzicht über eine mögliche Hinrichtung hinaus belegt nach Erbas' Ausführungen, dass die PKK einen "völligen Strategiewechsel" vollzogen hat. Keinesfalls sei der Dialogkurs als Taktik zur Rettung von Öcalans Leben einzustufen. Dahinter stehe vielmehr Öcalans Analyse der türkischen Staatsstruktur. Dem Staat müsse eine Möglichkeit gegeben werden, einen Schritt hin zu einer friedlichen, auf Gesprächen beruhenden Lösung zu tun. Dies zeige, wie ernst es Öcalan und die PKK mit ihrem Friedensangebot meinten, sagte Dogan Erbas. Die türkische Seite war bislang nicht von ihrer kompromisslosen Haltung abgerückt, mit den "Terroristen" im Südosten werde nicht verhandelt. Nur ein "Reuegesetz" wurde angeboten, das Rebellen, die die Waffen niederlegen, unter bestimmten Bedingungen Straffreiheit gewährt. Dieses Reuegesetz bewertet der Jurist als "auf keinen Fall" ausreichend. Denn in seinen Genuss kämen nur Rebellen, die dazu beitrügen, dass andere, noch aktive, verhaftet würden. Über die Anwendung des Gesetzes entschieden also allein die Sicherheitskräfte. Dies werde weder den sozialen Frieden noch den Dialog zwischen türkischer und kurdischer Seite fördern, eher aber Chaos und Ungewissheit. Allerdings sei die Entwicklung durch die Erdbebenkatastrophe und ihre Folgen unterbrochen, sagte Erbas. Der Anwalt registriert auf türkischer Seite eine verhaltene Resonanz auf Öcalans Friedenskurs. Immerhin habe Staatspräsident Suleyman Demirel Bürgermeister der prokurdischen Partei Hadep aus dem Südosten empfangen. Danach habe es ein Bankett mit türkischen Unternehmern gegeben, in dessen Folge in der türkischen Öffentlichkeit eine Kursänderung und "weichere Linie" gefeiert worden seien. Premier Bülent Ecevit hatte zurückhaltender gemeint, man müsse die Entscheidungen dem Lauf der Zeit überlassen, erinnert Erbas. Die Zeitung Hürriyet, die Erbas als "Sprachrohr der Staatsraison" einstuft, habe einen Kurswechsel hin zum Dialog befürwortet. Generell gewinnt Erbas der Festnahme Öcalans eine positive Seite ab. Denn dadadurch sei eine Chance zur friedlichen Lösung des Kurdenkonflikts gegeben, der bisher über 30 000 Menschen das Leben kostete und Millionen Kurden heimatlos machte. Öcalan sei seiner Haltung treu geblieben, eine friedliche Lösung zu finden. Seine Organisation habe ihm wiederholt die Gefolgschaft bekräftigt, auch nach seiner jüngsten Erklärung. Dabei sei sich Öcalan des Risikos bewusst, missverstanden zu werden. Nach Erbas' Meinung besteht erstmals in der Geschichte eine so ernsthafte und konkrete Chance zur Lösung des Konflikts. Diese sei möglich, sobald die Türkei von ihrer Politik der Leugnung des Kurdenproblems ablasse und den Dialog beginne. Wichtige Schritte dabei seien eine Aufhebung des Ausnahmezustands in den Kurdenprovinzen, die Auflösung des Dorfschützersystems und der Sondergerichte. In der türkischen Verfassung müsse die kurdische Identität gleichberechtigt anerkannt werden. Damit die historische Chance nicht verstreiche, müssten nun die Europäische Union (EU) und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ihr Möglichstes beitragen, rät Erbas. Er traue der PKK zu, dass sie auch bei einer Hinrichtung Öcalans den Dialogkurs beibehalte. Doch hätten schon die Ereignisse bei dessen Festnahme gezeigt, dass es vor allem junge Leute gebe, die sehr emotional reagierten. Ihr Verhalten sei auch im Falle einer Exekution des "Symbols" Öcalan unberechenbar. |