Hannoversche Allgemeine Zeitung 25.8.1999 Türkei: Schwacher Start Das Erdbeben in der Türkei fördert mehr zu Tage, als zunächst zu vermuten war: Neben der deutschen Hilfsbereitschaft verdient das private türkische Engagement und Improvisationstalent Respekt - und es steht im eklatanten Widerspruch zur Hilflosigkeit des türkischen Staates. Die offenkundige Unfähigkeit, ebenso wirksam Hilfe zu leisten oder auch nur zu koordinieren, paart sich neuerdings auch noch mit dem Gepolter des türkischen Gesundheitsministers Osman Durmus von der nationalistischen MHP. Er erklärte ausländische Hilfe kurzerhand für überflüssig, ja für "nicht unserer Kultur gemäß". In der türkischen Regierung gibt es seltsame Kräfte. Beobachter wundern sich schon seit Bestehen der erst wenige Monate alten Koalition, wie Premier Bülent Ecevit, der altgediente Sozialist, mit der MHP, der Partei der Grauen Wölfe, zurechtkommt. Aber der Durmus-Affront offenbart mehr über die türkische Politik als die Schwäche eines augenscheinlich überforderten Provinzpolitikers. Hilflos wie Durmus war schließlich auch Premier Ecevit, der lieber einem Staatsbegräbnis für Soldaten beiwohnte, als sich unter die gewöhnlichen Opfer zu begeben. Derselbe Staat, der in der Verfolgung der Kurden und der PKK so viel Stärke demonstriert, entpuppt sich in der Krise als schwach: Mit seinen Posen will er nur überspielen, dass es ihm immer noch an Konzepten für eine moderne Zivilgesellschaft fehlt. Daniel Alexander Schacht, Hannover |