Süddeutsche Zeitung 28.8.1999 Für Kurden lohnt sich Reue kaum Amnestiegesetz bietet PKK-Kämpfern wenig Anreize zum Aussteigen Nur kurz hat das Erdbeben von Izmit die Arbeit des türkischen Parlamentes unterbrochen, das in diesem Jahr ohnehin eine Sommer-Extraschicht fährt. Noch einen Tag vor der Katastrophe hatten die Abgeordneten das letzte in einer Reihe von Gesetzen verabschiedet, welche die Grundlage für tief greifende wirtschaftliche Reformen sein sollten; nun sollen ebenso wichtige politische Reformen folgen. Als erstes hat die Volksversammlung ein "Reuegesetz" gebilligt, das in der Theorie - aber nur dort - ganz gut klingt. Demnach sollen Kämpfer der verbotenen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) in den Genuss von Strafmilderungen kommen, wenn sie reuig ihre Untaten eingesehen, die Waffen niedergelegt, ihre Verstecke in den Bergen verlassen und sich ergeben haben. Günstig auf ihr Schicksal würde es sich zudem auswirken, wenn sie "einen Beitrag zur Verhütung weiterer Verbrechen leisten", wie es das Gesetz formuliert. Anders ausgedrückt: Sie müssen ihre Kameraden verraten und Einzelheiten über Struktur und Strategie der Partei nennen. Hinzu kommt, dass sich die Guerilla in den Bergen beeilen müsste: Das Angebot gilt nur sechs Monate. Es ist kaum wahrscheinlich, dass auch nur ein einziger Freischärler auf die Offerte aus Ankara eingehen wird - und das war offensichtlich auch gar nicht geplant. Denn bei näherer Betrachtung entpuppt sich das Reuegesetz als bedeutungslos. Es ist mit zu vielen Bedingungen und Widersprüchen gespickt. So werden nur solche PKK-Mitglieder für eine Amnestie in Betracht gezogen, die niemals auch nur die geringste Verbindung zu den Taten der Terrororganisation hatten. Da die türkischen Behörden in der Vergangenheit aber schon den Besitz einer PKK-Broschüre als schwere separatistische Straftat ahndeten, ist schwer zu sagen, für welchen Personenkreis das Reuegesetz überhaupt gilt. Außerdem blieben die Gesetzgeber die Auskunft schuldig, wie solche Unschuldslämmer jemals Zugang zu PKK-Interna bekommen haben sollen. PKK-Angehörige, die einmal die Waffe erhoben, gar auf einen Soldaten geschossen oder eine führende Funktion in der Partei eingenommen haben, brauchen sich nicht die geringste Hoffnung auf Gnade zu machen. Das gilt natürlich auch und in erster Linie für den zum Tode verurteilten PKK-Führer Abdullah Öcalan und seinen ehemals zweiten Mann, Semdin Sakik, der ebenfalls auf die Vollstreckung seines Urteils wartet. Ursprünglich hatte sich Ministerpräsident Bülent Ecevit erhofft, den Separatisten ein großzügigeres Angebot machen zu können, das vielleicht den Aufruf Öcalans an seine Kämpfer ergänzt hätte, sich aus den Kampfgebieten zurückzuziehen. Die PKK hat nach eigenen Angaben bereits mit dem Rückzug begonnen - eine gute Woche vor dem von ihrem Anführer genannten Stichtag 1. September. Der Premierminister hatte aber die Rechnung ohne seinen Koalitionspartner, die rechtsextreme "Partei der nationalistischen Bewegung" (MHP), gemacht. Den nationalistischen Abgeordneten geht schon die jetzt gebilligte verwässerte Version des "Reuegesetzes" zu weit. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die MHP-Parlamentarier die Streichung eines Hinweises auf die kurdische "Sprache" in einem Regierungspapier durchsetzten. Kurdisch, so argumentierten sie, sei bestenfalls ein Akzent oder ein Dialekt. Wolfgang Koydl
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