Hannoversche Allgemeine Zeitung 30.8.1999 Die Türkei öffnet ihre Gefängnisse Die türkischen Gefängnisse leeren sich: Das Parlament in Ankara hat am Sonnabend eine Amnestie beschlossen, die Zehntausenden Häftlingen die Entlassung beschert. Politische Gefangene aber müssen weiter sitzen, sofern sie nicht dem rechtsextremen Spektrum angehören. Ausgenommen von der Amnestie sind auch kurdische Aktivisten und Terroristen. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu wird auf Grund des Amnestiegesetzes 26 538 Strafgefangenen die verbleibende Haftzeit sofort zur Bewährung erlassen. Rund 32 000 weitere können in den nächsten Jahren mit Entlassung rechnen. Die Amnestie gilt für Gefangene, die zu weniger als zwölfjährigen Haftstrafen verurteilt wurden oder minderjährig sind. Wenn sie in den nächsten drei Jahren wieder straffällig werden, müssen sie die ursprünglich verhängten Haftstrafen nachträglich in voller Länge absitzen. Die etwa 10 200 politischen Häftlinge aber bleiben hinter Gittern. Unter ihnen sind der frühere Vorsitzende der türkischen Menschenrechtsvereinigung IHD, Akin Birdal, und der blinde Bürgerrechtler Esber Yagmurdereli. Beide sitzen in Haft, weil sie zu einer friedlichen Lösung des Kurdenkonflikts aufgerufen hatten. "Sie haben sich terroristischer Verbrechen schuldig gemacht, die wir unter der Verfassung nicht vergeben können", sagte Justizminister Hikmet Sami Türk. Auch für Häftlinge, die wegen Hochverrats zum Tode verurteilt wurden, wie den PKK-Chef Abdullah Öcalan, gilt die Amnestie nicht. In den türkischen Gefängnissen sitzen derzeit 69 382 Menschen. Die meisten Haftanstalten sind überfüllt. Amnestien wie diese verabschiedet das türkische Parlament in regelmäßigen Abständen, um die Enge in den Gefängnissen zu lindern. Ausgenommen bleiben auch solche Häftlinge, die wegen Brandstiftung, Vergewaltigung oder illegalen Bauens verurteilt wurden - ein heißes Eisen nach der jüngsten Erdbebenkatastrophe. Dagegen setzte die in der Regierungskoalition vertretene rechtsextremistische Partei der Nationalistischen Bewegung bei der Verabschiedung des Gesetzes die Aufnahme eines Artikels durch, der mehreren wegen politischer Morde an Linken verurteilten Rechtsextremisten die Freilassung ermöglicht. Gerd Höhler, Hannover |