junge Welt 30.8.1999 Ein Scharfmacher als Richter? jW sprach in Hamburg mit DHKP-C-Prozeßbeobachter Wolfgang Lettow (Wolfgang Lettow ist in der Betreuung politischer Gefangener aktiv und Mitarbeiter des »Angehörigen Info«. Er beobachtet den Prozeß gegen die türkische Organisation Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front - DHKP-C - in Hamburg) F: In Hamburg wird seit Monaten ein Prozeß gegen die türkische DHKP-C geführt. Ihr wird nach Paragraph 129a die Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. 1998 wurde die Organisation vom damaligen Innenminister Kanther verboten. Vor welchem Hintergrund? Die beiden NATO-Staaten BRD und Türkei pflegen ja seit langem gute Beziehungen auf allen Ebenen, auf wirtschaftlicher, militärischer und eben auch politischer. Neben der PKK wurde so auch die DHKP-C verboten, deren Vorläufer-Organisation als sogenannte »terroristische Vereinigung« bereits 1983 verboten wurde. Auf die DHKP-C wurde dieses Verbot von '83 angewandt. Dagegen erhob die DHKP-C Klage. Sie bekam schließlich beim Bundesgerichtshof (BGH) im Februar 1998 Recht. Die politische Verfolgung war also die ganzen Jahre über nicht juristisch abgesichert. Um aber die illegale Verfolgungspraxis im Nachhinein zu legitimieren, erließ Kanther am 13.August '98 auch ein Verbot gegen die DHKP-C. Die offizielle Begründung lautete, innerhalb der DHKP-C habe es seit 1995 eine »terroristische Vereinigung« gegeben. Damit wurde die Grundlage für diese Prozeßwelle geschaffen. Inzwischen wurden drei Männer zu hohen Haftstrafen verurteilt, zwei weitere müssen sich vor dem Oberlandesgericht Hamburg verantworten. Vermutlich wird noch gegen etwa dreißig weitere Personen ermittelt. Ihnen wird neben »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« noch »Erteilung von Mordbefehlen«, »versuchter Totschlag« und in einem Fall »Mord« vorgeworfen. F: Wie bewerten Sie die juristischen Grundlagen für das Verfahren? Man bewegt sich auf sehr dünnem Eis, was die Beweislage angeht. Die Verdächtigungen basieren ausschließlich auf Aussagen von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes und einem Kronzeugen. Es gibt hingegen keinen einzigen schlüssigen Beweis. Der Richter, Herr Mentz, der seinen Job bereits viele Jahre macht und schon deutsche Linke oder kurdische politische Gefangene für lange Zeit hinter Gitter brachte, sieht seine Aufgabe mehr oder weniger darin, den Part der Bundesanwaltschaft zu übernehmen. Das heißt, er hat den Boden der Neutralität verlassen und wurde vom Richter zum Kläger. Er ist bestrebt, politische Aktionen auf einen kriminellen Akt zu reduzieren. Richter Mentz ist längst als Scharfmacher bekannt. Insgesamt ist das Klima im Gerichtssaal von einem starken Verfolgungswillen geprägt. Zeugen, die die Angeklagten entlasten, werden eingeschüchtert und selber mit einem Verfahren überzogen. Beweisanträge der Verteidiger werden willkürlich abgelehnt. Obwohl es z.B. möglich ist, Lautsprecher einzuschalten, damit die türkischsprachigen Zuschauerinnen und Zuschauer die Übersetzung der Gerichtsdolmetscherin verstehen, werden diese nicht benutzt. F: Innerhalb der DHKP-C wurde die eigene Vergangenheit sehr selbstkritisch beurteilt und sich intensiv damit auseinandergesetzt. Heute wird der bewaffnete Kampf innerhalb der Organisation als falsch angesehen. Über die DHKP-C ist hier wenig bekannt. Wie sind Sie dazu gekommen? Ich besuche seit langem Gefangene aus der RAF. Ich setze mich mit ihrer Situation, mit der Situation von politischen Gefangenen überhaupt, auseinander. Als 1996 in der Türkei der große Hungerstreik gegen die Einführung der Isolationshaft geführt wurde und dabei 16 Genossinnen und Genossen ihr Leben ließen, stieß ich auf die DHKP-C, die diesen Streik konsequent unterstützte: Unter den Gefallenen waren auch acht Anhänger der DHKP-C. F: Nun läßt sich aber bei aller Sympathie die Art der DHKP-C, Politik zu machen, nicht eben als demokratisch bezeichnen. Und auch, wenn sich damit intensiv auseinandergesetzt wurde - ein bitterer Nachgeschmack bleibt doch. Linke sind keine Gutmenschen, das heißt, sie machen auch Fehler. Aber trotzdem ist das für mich kein Grund, jetzt die Solidarität zu verweigern. Ich habe die Prozesse besucht, weil mir Richter Mentz ein Begriff war und weil ich mir selbst ein Bild machen wollte von dem, was da passiert. Klassenjustiz bleibt Klassenjustiz. Das muß eine Motivation für unsere Solidarität sein. Generell ist mein Verhältnis zu linken Organisationen kritisch und offen. Kritik ist für mich unverzichtbarer Bestandteil von Solidarität und schließt sie keineswegs aus. Interview: Birgit Gärtner, Hamburg |