Frankfurter Rundschau 4.10.1999 Schlägerei beendete Kirchenasyl-Tagung Ursache: Vermutlich Streit kurdischer Gemeinden über deren rechtmäßige Anerkennung GIEßEN. Wegen einer Schlägerei ist am Freitagabend in Gießen eine Veranstaltung zum Thema "Ein Jahr Kirchenasyl in Kleinlinden" kurz vor dem Ende abgebrochen worden.Im Vorraum des Veranstaltungssaales in der Gießener Kongresshalle war es zu Auseinandersetzungen zwischen einigen Kurden gekommen, nachdem ein Teilnehmer aus dem Publikum den Ablauf durch Zwischenrufe gegen den anwesenden Vorsitzenden der kurdischen Gemeinde Deutschland, Mehmet Tanriverdi, gestört hatte. Ein Messer sowie eine Schreckschusspistole seien bei der Schlägerei mit im Spiel gewesen, teilte die Gießener Polizei dazu auf Anfrage mit. Vier Personen wurden leicht verletzt in ein Krankenhaus gebracht. Sie sind inzwischen entlassen worden. Unbekannt ist die Anzahl der Beteiligten, gegen drei Personen sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, so der Polizeisprecher. Hintergrund der Auseinandersetzung soll nach Informationen des epd ein auch vor Gericht ausgetragener Streit zwischen der kurdischen Gemeinde Gießen und der kurdischen Gemeinde Deutschland über die rechtsmäßige Anerkennung als Gemeinde sein. Zu der Veranstaltung im Rahmen der Interkulturellen Woche hatten unter anderem die Ausländerbeiräte der Stadt und des Landkreises Gießen, die kurdische Gemeinde Gießen, der Arbeitskreis Kirchenasyl Kleinlinden, die Evangelische Studentengemeinde und Amnesty International eingeladen Am Beispiel der kurdischen Familie Karaca, die sich seit 3. September 1998 bei der evangelischen Gemeinde Gießen-Kleinlinden im Kirchenasyl befindet, sollten die Hürden des Asylverfahrens und die Abschiebepraxis des Landes Hessen dargestellt werden. Wie Pfarrer Michael Karg bei der Veranstaltung betonte, hoffe die Gemeinde, mit ihrem Verhalten an einem kleinen Punkt zu einer humanen Kultur beitragen zu können. Nachdem fast alle rechtlichen Mittel inzwischen ausgeschöpft seien, befinde sich die Familie in einer schwierigen Situation. Der Propst für Oberhessen, Klaus Eibach, erkärte, dass in der hessen-nassauischen Kirche ein Konsens darüber bestehe, Menschen gleich welcher Konfession zu helfen, wenn sie in Not sind, und nötigenfalls "Kirchenasyl" zu gewähren. Er kenne in der Landeskirche keine "lautstark" vertretene Meinung, die sich gegen ein Kirchenasyl richte. "Ich glaube nicht, dass wir Kirchenasyl von der Frage abhängig machen können, welche Perspektive es gibt", entgegnete er Bedenken, die die Flüchtlingsreferentin des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau, Hildegund Niebch, vortrug. Eibach verwies in dem Zusammenhang auf die Zeit des Nationalsozialismus. Viele Juden und Jüdinnen wären nicht gerettet worden, hätten die Menschen erst nach einer Perspektive gefragt. Die Flüchtlingsreferentin hatte zu Bedenken gegeben, dass angesichts der politischen Situation in Hessen und auch im Bund derzeit kaum humanitäre Spielräume bestünden, die dem "Kirchenasyl" eine Perspektive geben könnten. Sie bekomme häufig Anfragen von Kirchengemeinden, doch sie werde immer skeptischer in der Beratung. "Ein Jahr im Kirchenasyl ist kein Spaß", so die Flüchtlingsreferentin. Gefordert wurde von allen Diskussionsteilnehmern die Inkraftsetzung einer Altfallregelung für lange hier lebende Flüchtlinge und ihre Familien, wie sie in der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung versprochen ist. Zudem wurde eine Änderung des Asylrechts verlangt. Kritisiert wurde auch die bei Asylverfahren vorgenommene Verlagerung auf nur mehr eine verwaltungsgerichtliche Ebene. Die Entscheidungen bei den Verfahren fielen oftmals sehr unterschiedlich aus. "Der Einzelrichter ist König", sagte der Frankfurter Rechtsanwalt Victor Pfaff zu dieser Praxis. epd
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