Stuttgarter Zeitung, 6.10.1999 ¸¸Wir sind keine Sklaven der Geschichte'' Griechenlands Außenminister setzt in Ankara Zeichen und wirbt um Freundschaft Der griechische Außenminister hat Istanbul besucht und viele freundliche Worte gesprochen. Die Schatten der Historie hat er aber nicht vertreiben können. Von Jan Keetman, Istanbul Mit den Worten ¸¸Wir werden nicht die Sklaven der Geschichte sein'' traf der griechische Außenminister Jorgos Papandreou den Nerv der ¸¸Taksim-Versammlung'', eines monatlichen Diskussionsforums in Istanbul. Das Forum applaudierte begeistert. Dabei war der bloße Auftritt des Ministers schon ein Zeichen der Entspannung zwischen Griechenland und der Türkei. Schließlich standen die beiden Staaten in den vergangenen 25 Jahren schon dreimal am Rande eines Krieges. Und noch im März hatte der türkische Staatspräsident Demirel Griechenland als ¸¸Schurkenstaat'' bezeichnet. Ebenso freundliche Aufnahme fand das Plädoyer des Griechen für die Aufnahme seiner türkischen Nachbarn in die EU. Richtig spannend aber wurde es für die Creme der türkischen Journalisten im Forum, als der Veteran der türkischen Auslandsredakteure, Sami Kohen von der ¸¸Milliyet'', aufstand und Papandreou auf den Zahn fühlte. Was meine denn die griechische Regierung damit, dass sich nun auch die türkische Seite bewegen müsse, wollte der Journalist wissen. Und welche konkreten Bedingungen Griechenland an sein Ja zum türkischen EU-Beitritt knüpfe? Die Antwort war lang und freundlich, aber völlig unverbindlich. Offenbar weiß man in Athen nur, dass man von der Türkei etwas fordert, ohne die Details zu kennen. Die grobe Richtung ist allerdings zu erkennen und ließ auch daran ablesen, dass Papandreou ausführlich auf die Zypernfrage zu sprechen kam. Zugeständnisse in diesem Bereich würden sich für Istanbul lohnen, machte der Minister glauben. Ein wieder vereintes Zypern könnte in die EU aufgenommen werden und vom EU-Regionalfond profitieren. Außerdem werde niemand mehr von der EU als christlichem Club sprechen, wenn die Türkei - mit überwiegend muslimischer Bevölkerung - zur Union zähle. Papandreou lockte auch mit der Aussicht, Türkisch würde zu einer offiziellen EU-Sprache werden. Doch dann brach der mit Hilfe des Erdbebens verschüttete Graben der Geschichte wieder auf. Der Rechtsprofessor Sait Gürhan wollte von Papandreou wissen, ob es nicht die Menschenrechte verletze, dass die - nur von Ankara anerkannte Türkische Republik Nordzypern - völlig isoliert werde. Papandreou antwortete ausweichend und beklagte die Besetzung der Insel. Für einen Moment war die Atmosphäre eisig. Die Geschichte hatte die Versammlung eingeholt. Doch die alten Streitpunkte sind nicht bloß Historie, sondern erschweren die Aussöhnung weiterhin. Dies war auch deutlich geworden, als der türkische Premier Ecevit in Washington zu Gast war. In den USA schloss Ecevit kategorisch Zugeständnisse in Sachen Zypern aus. Dennoch hat der zweitägige Besuch Papandreous in Istanbul erfreuliche Zeichen gesetzt. Er wurde allgemein als symbolischer Hinweis auf die gemeinsame Zukunft der beiden Nachbarländer interpretiert. Ganz in diesem Sinne wirkte auch eine weitere vom Protokoll eingeplante Geste: Papandreou eröffnete zusammen mit dem türkischen Außenminister Ismail Cem gestern das neue akademische Jahr. |