Rhein-Neckar-Zeitung, 7.10.1999 Berufungsverfahren im Fall Öcalan - Schicksal des PKK-Chefs unklar Von Claudia Steiner, dpa Istanbul/Ankara (dpa) - Das endgültige Urteil über den in der Türkei zum Tode verurteilten Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah öcalan, ist noch lange nicht gefällt. Gut drei Monate nach Prozessende geht an diesem Donnerstag das juristische Verfahren weiter. Der Kassationshof, das oberste Berufungsgericht, wird entscheiden, ob das Todesurteil des Staatssicherheitsgerichts wegen Hochverrats und zahlreicher Morde korrekt war. Nach dem spektakulären Prozess auf der Gefängnis-Insel Imrali, den zahlreiche Familien gefallener Soldaten, Journalisten und Diplomaten verfolgt haben, wird das Verfahren in Ankara eher nüchtern ausfallen. Der auf Imrali inhaftierte kurdische Separatistenführer wird nicht am Prozess teilnehmen. Und die Anwälte der «Märtyrer-Familien» werden dieses Mal nur als Zuschauer dabei sein. Das fünfköpfige Berufungsgericht wird den formalen Ablauf des Verfahrens überprüfen. Es wird erwartet, dass die Öcalan-Anwälte beispielsweise vorbringen werden, dass ihr Mandant im Februar dieses Jahres illegal aus der kenianischen Hauptstadt Nairobi entführt wurde. Sollte der Berufung stattgegeben werden, muss das Staatssicherheitsgericht neu verhandeln. Doch die Anwälte sehen kaum Erfolgschancen. «Das Kassationsgericht in Ankara wird sich vermutlich gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens aussprechen», sagte kürzlich Verteidiger Dogan Erbas. In diesem Fall wird das Urteil zunächst im Rechtsausschuss des Parlaments beraten, bevor die Volksvertreter dann über eine Vollstreckung des Urteils abstimmen. Eine Hinrichtung Öcalans innerhalb der nächsten drei Jahre hält Erbas aber für unwahrscheinlich. Zu viele europäische Türen würden zugehen, falls der PKK-Chef am Strang enden würde. So will sich Ankara im Dezember erneut als EU-Beitrittskandidat bewerben. Gleichzeitig werden auch in der Türkei Stimmen laut, die ein Ende des Kurden-Konfliktes im Südosten des Landes verlangen. In einer Anzeige in der türkischen Zeitung «Cumhuriyet» haben rund 200 Vertreter verschiedener Parteien, Gewerkschaften, Anwalt- Vereinigungen und Wirtschafts-Verbände eine friedliche Lösung des Konfliktes, eine Generalamnestie für alle Häftlinge sowie die Abschaffung der Todesstrafe gefordert. Die PKK probt unterdessen den Wandel von einer Rebellen- zu einer politischen Organisation. Mit immer neuen Friedensappellen will die Separatistenorganisation der Türkei eine friedliche Lösung geradezu aufzwingen. Der bewaffnete Kampf wurde für beendet erklärt. Die Kämpfer befolgen zudem einen Aufruf öcalans und ziehen aus der Türkei ab, um eine «Chance für den Frieden» zu schaffen. Kürzlich stellte sich eine «PKK-Friedens-Gruppe» als «Zeichen des guten Willens» den türkischen Behörden. Öcalan bot sogar die totale Kapitulation der Rebellen an, falls die Türkei umfassende juristische und politische Reformen verwirklicht. Der türkische Generalstab tat dies als «Teil der Propaganda» der PKK ab. Ob damit ein letztes Wort gesprochen ist, muss sich zeigen. Als sicher gilt aber, dass über das endgültige Schicksal Öcalans erst in Monaten, wenn nicht gar erst in Jahren entschieden wird. |