Neue Züricher Zeitung 11.10.1999 Lob der OSZE für Athens neue Türkei-Politik Rechte und Pflichten der Minderheiten H. G. Athen, 9. Oktober Der OSZE-Hochkommissar für nationale Minderheiten, Max van der Stoel, ist am Freitag in Athen mit dem griechischen Aussenminister Papandreou zusammengetroffen. In einer anschliessenden Erklärung begrüsste van der Stoel die offenere Haltung Griechenlands der sogenannten muslimischen Minderheit in West-Thrakien gegenüber. Diese setzt sich aus 100 000 Türken, Pomaken (islamisierte Südslawen) und Roma zusammen. Im griechisch-türkischen Frieden von Lausanne 1923 war diese ethnisch heterogene Minorität entsprechend ihrem gemeinsamen Nenner - nämlich dem Islam - als religiöse Minderheit anerkannt und mit besonderen Rechten ausgestattet worden. Im Zug der jüngsten Annäherung zwischen Athen und Ankara hatte der griechische Aussenminister jedoch laut darüber nachzudenken begonnen, ob den Angehörigen der muslimischen Minderheit nicht auch das Recht auf die nationale Identifikation eingeräumt werden sollte. Darauf wurde Papandreou von den griechisch-nationalen Oppositionsparteien, aber auch innerhalb seiner eigenen Partei heftig kritisiert: Er bereite mit solchen Zugeständnissen den Boden für Sezessionsbestrebungen der thrakischen Muslime nach dem Vorbild ihrer albanischen Glaubensbrüder in Kosovo und ermuntere türkische Forderungen nach einer Grenzbereinigung in Thrakien. Van der Stoel leistete nun Papandreou Schützenhilfe mit dem Hinweis, dass die Friedensvereinbarungen von Lausanne eine Neufassung im Sinne des 1990 erstellten OSZE-Minderheiten- Dokuments von Kopenhagen nicht ausschliessen. Die Ratifizierung der mit diesem zusammenhängenden Rahmenkonvention durch Athen sei endlich fällig. In Griechenland lasse man sich noch immer Zeit damit, da in den Köpfen der meisten Politiker Verwirrung über die Bedeutung und das Ausmass der darin verankerten Grundsätze herrschten. Diese gewährten keiner Minderheit das Recht auf Selbstbestimmung und Sezession; nicht einmal die regionale Selbstverwaltung sei ein Recht, sondern nur eine von verschiedenen Optionen. Was aber keiner Minorität in einem wirklich demokratischen Europa verwehrt werden dürfe, sei die Pflege ihrer nationalen Identität und die Freiheit, Organe zur Wahrung vor allem der kulturellen Eigenart zu schaffen. Diesbezüglich stünden verschiedene griechische Gesetze noch immer in Widerspruch mit dem europäischen Recht, aber auch mit der eigenen Verfassung. Wie der OSZE-Hochkommissar abschliessend ausführte, ist kein Nationalitätenkonflikt auf dem Balkan unausweichlich gewesen. Bosnien und Kosovo, «ethnische Säuberungen» und separatistisches Aufbegehren dürften nicht zum Vorbild für die «Lösung» anderer Minderheitenprobleme werden. |