junge Welt 11.10.1999 Bagdad lockt USA mit Ölgeschäften Irak kündigt Verfassungsänderung an. Avancen in Washington könnten auf offene Ohren stoßen Saddam Hussein will unter die Demokraten gehen. Dies geht aus einer Botschaft hervor, die am vergangenen Freitag Jordaniens neuer König Abdallah II. an US- Präsident William Clinton übergab. In dem Schreiben kündigt der irakische Präsident an, es solle eine neue Verfassung geben, auf deren Grundlage umfassende Reformen des politischen Systems vorgenommen werden sollen. Von einem Mehrparteiensystem ist die Rede und von der Beachtung der Menschenrechte. Außerdem wolle Saddam Hussein helfen, den Friedensprozeß im Nahen Osten voranzubringen. Dazu wolle Irak die Bedrohung Israels beenden und sowohl in einen Dialog mit Washington als auch mit Israel eintreten, berichtete die gewöhnlich gut informierte Londoner Zeitung Al-Hayat. Als Gegenleistung erwartet Saddam Hussein die Beendigung der Sanktionen, die die UNO nach der Besetzung Kuwaits gegen sein Land verhängte. König Abdullah II. wollte sich bei seiner Ankunft in Washington nicht zum Inhalt der Botschaft aus Bagdad äußern. Er sagte, er werde auch nicht im Namen Iraks sprechen. Der Sprecher des US-State-Department, James Rubin, reagierte reserviert auf die irakische Offerte. »Die Iraker versuchen regelmäßig, mit amerikanischen Offiziellen in die Diskussion zu kommen, aber wir sind nicht an solchen Diskussionen interessiert«, kommentierte er. Auch in der irakischen Opposition dürften die demokratischen Avancen Saddam Husseins mit großem Mißtrauen betrachtet werden. Sie haben ihre Erfahrungen mit einem Mehrparteiensystem unter Führung der seit 30 Jahren regierenden Baath-Partei, an deren Spitze seit 20 Jahren Saddam Hussein steht. In den 60er Jahren existierte schon einmal ein formales Mehrparteiensystem und eine sogenannte Nationale Progressive Front, an der unter anderem die Kommunistische Partei und kurdische Parteien beteiligt waren. Dies hinderte Saddam Hussein weder daran, einige Jahre später faktisch die gesamte KP- Spitze hinrichten zu lassen noch die zeitweilig bestehende kurdische Autonomie im Norden des Landes zu beenden und anschließend mit der berüchtigten Anfal- Kampagnen faktisch ein Genozid an den Kurden anzurichten. Trotzdem könnte Saddam Husseins jüngster Vorstoß in Richtung USA diesmal mehr bewirken, weil er sich vor verändertem globalpolitischen Hintergrund abspielt. Rußland, noch aus sowjetischen Zeiten (und trotz Liquidierung der KP-Führung) freundschaftlich mit dem Bagdader Regime verbunden, hat längst mit den UN- Sanktionen abgeschlossen. Über den von der UNO erlaubten Oil-for-Food-Kompromiß, nach dem Irak eine begrenzte Menge Öl auf dem Weltmarkt verkaufen und dafür Lebensmittel und Medikamente einkaufen kann sowie seine Reparationen bezahlen muß, importiert Rußland längst irakisches Öl auf kommerzieller Basis. Das wird neuerdings auch offen verkündet. Bei einem Besuch des russischen Öl- und Energieministers Viktor Kaljuschni Ende September in Bagdad erklärte dessen irakischer Amtskollege Amer Raschid, sein Land wolle Rohöl »entsprechend unserer Kapazität und unabhängig von anderen Maßnahmen« - sprich der Sanktionen - fördern und exportieren. Kaljuschni revanchierte sich mit Lobpreisungen auf den irakischen Staatschef, den er als »mutigen Mann« bezeichnete, der fähig sei, »Irak zu einem entwickelten Land zu machen«. Anschließend präsidierten Kaljuschni und Raschid gemeinsam über eine Sitzung der Russisch-Irakischen Wirtschaftskommission. Dabei schlossen russische Firmen, über schon bestehende Abkommen hinaus, Lieferverträge über Ölausrüstungen im Wert von 57 Millionen Dollar ab. Immerhin wollte Kaljuschni nicht die Namen der Firmen nennen. Noch drohen ihnen bei Irak-Geschäften US-Sanktionen. Demnächst soll jedoch auch eine Delegation des russischen Erdgas-Riesen Gazprom Irak besuchen. Diese Geschäfte sind auch der Hintergrund für eine mögliche US-Bereitschaft, mit Irak - zunächst hinter den Kulissen - zu verhandeln. In seiner Botschaft an Clinton soll Saddam Hussein einer anderen in London erscheinenden arabischen Zeitung, al-Zaman, zufolge auch angeboten haben, die Ölabkommen mit Rußland und Frankreich im Sinne von US-Firmen einer Überprüfung zu unterziehen. Dazu passen Äußerungen irakischer Exil- Oppositioneller, die dem - vom CIA bezahlten - Chef des Iraqi National Congress (INC), Ahmad Chalabi, vorwerfen, er sabotiere das Zustandekommen einer »wirklich repräsentativen breiten Koalition der irakischen Oppositionskräfte« und den USA; sie seien entgegen ihren Ankündigungen nicht mehr gewillt, Saddam Hussein zu stürzen. Jan Heller |