Stuttgarter Zeitung, 11.10.1999 Asylhelfer kritisieren erneut Abschiebepraxis Kurdin begeht Selbstmordversuch - Regierungspräsidium Freiburg weist Vorwürfe zurück FREIBURG. Das Südbadische Aktionsbündnis gegen Abschiebung (Saga) hat zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen die Abschiebepraxis in Südbaden scharf kritisiert. Das Regierungspräsidium weist die Vorwürfe zurück. Von Ute Köhler Erneut behaupten die Asylhelfer, die Abschiebebehörde nehme schwerste Schäden der betroffenen Menschen in Kauf, um deren Ausreise durchzusetzen. Saga bezieht sich dabei auf einen Vorfall vom Montag dieser Woche. Eine kurdische Familie in Lörrach sollte abgeschoben werden, obwohl nach dem rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren ein Asylfolgeverfahren eingeleitet worden war und bei der Ehefrau eine Selbstmordgefährdung festgestellt worden sei. Während die Familie die Koffer packte, unternahm die Frau nach Angaben von Saga tatsächlich einen Selbstmordversuch und musste in eine Lörracher Klinik eingeliefert werden. Sie soll sich gegenwärtig in einem Psychiatrischen Krankenhaus aufhalten. Die Asylhelfer kritisieren, dass trotz dieses Vorfalles die übrigen Familienmitglieder zur Abschiebung nach Stuttgart gebracht worden waren. Die Ausreise konnte erst durch das Verwaltungsgericht in Freiburg vorläufig gestoppt werden. Außerdem bemängelt Saga, dass abgeschoben werden sollte, bevor eine Entscheidung des Bundesamtes über das Asylfolgeverfahren vorlag. Der kurdischen Familie wäre so die Möglichkeit genommen worden, Rechtsmittel einzulegen. Das Regierungspräsidium hat diese Darstellung gestern zurückgewiesen. Es teilte mit, dass eine Entscheidung des Bundesamtes vorgelegen habe, diese aber dem Regierungspräsidium vor den Betroffenen mitgeteilt worden sei. Diese Praxis wird von den Behörden immer wieder angewandt, um einem Untertauchen der Abzuschiebenden zuvorzukommen. Die Anwältin der Familie habe im übrigen in der Vergangenheit nie auf eine Selbstmordgefährdung hingewiesen. Es werde auch in der Regel Wert darauf gelegt, so das Regierungspräsidium, Familien nicht auseinander zu reißen. Dies gelte aber nicht, wenn die Trennung am Abschiebetag von den Betroffenen selbst herbeigeführt werde - sei es durch Flucht oder auch durch die Einnahme von Medikamenten, die vorübergehend zur Einlieferung in ein Krankenhaus führen könnten. In einem solchen Fall nehme die Behörde in Kauf, dass die Familienmitglieder für kurze Zeit getrennt würden und sich erst in ihrem Heimatland wieder finden könnten. Ähnliche Kritik war vor wenigen Wochen laut geworden, als im südbadischen Steinen ein Asylbewerber von zwei Schüssen aus einer Polizeiwaffe lebensgefährlich verletzt worden war. Der Beamte hatte den Mann nach Polizeiangaben am Selbstmord hindern wollen. Auch in diesem Fall war die übrige Familie zunächst auf den Weg zum Flughafen gebracht worden. Die Abschiebung war ebenfalls erst dann gestoppt worden, als die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen hatte. |