Neue Züricher Zeitung 13.10.1999 Sicherheit hatte Vorrang Juristisches Nachspielzur Besetzung der griechischen Botschaft U. M. Bern, 10. Oktober Nach der Festnahme des PKK-Führers Öcalan hatten Kurden in einer weltweit koordinierten Aktion in der Nacht vom 15. auf den 16. Februar auch die griechische Botschaft in Muri bei Bern besetzt. Weil dabei die Berner Polizei aus sicherheitspolitischen Überlegungen auf Personenkontrollen verzichtete, wurde der Kommandant der Kantonspolizei von einem Bürger wegen Begünstigung angezeigt. Diese Strafverfolgung haben nun der geschäftsleitende Untersuchungsrichter und die Staatsanwaltschaft III Bern-Mittelland aufgehoben, und gegen den Kommandanten wird auch kein Verfahren wegen Amtsmissbrauch eröffnet. Der nun publizierte Entscheid weist darauf hin, dass die Berner Kantonspolizei im Auftrag der Bundespolizei handelte, die sich auch mit den gleichzeitig erfolgten Besetzungen der Vertretungen Griechenlands in Zürich und bei der Uno in Genf zu befassen hatte. Ausserdem hatte der Bundesrat seinen Sonderstab für Geiselnahme und Erpressung (SOGE) eingesetzt. Der SOGE hatte eine friedliche Auflösung der Besetzung angestrebt, wobei zwar ursprünglich nach deren Beendigung die Feststellung der Personalien der Besetzer vorgesehen war. Die Kantonspolizei wusste von Beginn der Besetzung, wer deren Wortführerin war und ebenso, dass die Besetzer telefonischen Kontakt zu ihren Gesinnungsgenossen im In- und Ausland hatten. Deshalb wollte sie vermeiden, dass durch eine Personenkontrolle in Bern die Situation in Zürich eskalierte, da dort zu jenem Zeitpunkt die Geiselnahme noch nicht beendet war. Der Kommandant befürchtete ausserdem, dass bei einem freiwilligen Abzug eine Personenkontrolle die Situation wieder verschärfen und zu massiven Beschädigungen an Gebäuden oder sogar zu Selbstverbrennungen von Besetzern führen könnte. Sein Einsatzkonzept wurde sowohl von der bernischen Polizeidirektion als auch vom SOGE gutgeheissen. Polizeilicher Notstand Unter diesen Prämissen scheidet nach Ansicht der Untersuchungsbehörde zunächst eine Amtspflichtverletzung des Kommandanten der Berner Kantonspolizei aus. Sie kommt ebenso zum Schluss, dass der Verzicht auf eine Personenkontrolle wegen der Geiselnahme in Zürich sowie der drohenden Selbstverbrennungen an allen Schauplätzen in der Schweiz verhältnismässig war. Die Untersuchungsbehörde spricht von einem Notstand im Sinne des Strafgesetzbuches, der straflos bleibt. Die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung hätten zu einer Konfliktlage geführt, wobei das Interesse am Schutz der Geiseln in Zürich dasjenige der Verfolgung und Bestrafung der einzelnen Besetzer in Muri bei Bern überwogen habe. Auf Grund dieser Rechtsgüterabwägung kann dem Polizeikommandanten als dem verantwortlichen Gesamteinsatzleiter kein strafbares Handeln vorgehalten werden. |