Frankfurter Rundschau 14.10.1999 Brüssel schlägt neue Beitrittskandidaten vor EU soll jetzt mit insgesamt zwölf Staaten verhandeln Von Michael Bergius Der Erweiterungsprozess der Europäischen Union erhält neuen Schwung. Der Kreis der Kandidatenländer, mit denen konkret über eine EU-Mitgliedschaft verhandelt wird, soll mit Beginn des kommenden Jahres von derzeit sechs auf zwölf ausgeweitet werden. BRÜSSEL, 13. Oktober. Die EU-Kommission empfahl am Mittwoch erwartungsgemäß, die bisher im Warteraum platzierten Staaten Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und Slowakei aufzuwerten. Sie erhalten damit den lange ersehnten gleichen Status wie Estland, Polen, Tschechien, Slowenien, Ungarn und Zypern, mit denen bereits seit Anfang 1998 Beitrittsverhandlungen geführt werden. Kommissionspräsident Romano Prodi und der für Erweiterungsfragen zuständige deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD) sprachen von einem "Strategiewechsel"; die Union wolle sowohl dem jüngsten "dramatischen Wandel in Europa" infolge des Kosovo-Krieges Rechnung tragen als auch ein "starkes Signal" aussenden, dass sie sich ihrer Verpflichtung zur Schaffung von Frieden und Wohlstand auf dem Kontinent stelle. Der neue Kurs, der formell Mitte Dezember von den EU-Staats- und Regierungschefs abgesegnet werden muss, soll nach den Worten Verheugens eine "bessere Balance" zwischen zwei sich widersprechenden Zielen im Erweiterungsprozess herstellen: dem Tempo der Beitrittsverhandlungen und ihrer Qualität. Die Kandidaten müssten sich darauf einstellen, "differenzierter" als bisher auf EU-Tauglichkeit hin beurteilt zu werden. Verhandlungen über einzelne der insgesamt 31 Kapitel sollten künftig erst aufgenommen werden, wenn die Bewerber die nötigen Vorleistungen erbracht hätten. Die am Mittwoch veröffentlichten "Fortschrittsberichte" zu den zwölf Bewerberstaaten können nach Angaben Verheugens auf die Kurzformel reduziert werden: "Die erste Gruppe ist dicht beisammen, die zweite nicht." Bulgarien etwa wird von der Kommission deutlich ermahnt, dass Beitrittsverhandlungen erst dann beginnen könnten, wenn die Regierung in Sofia einen verbindlichen Fahrplan für die Schließung veralteter Reaktorblöcke im Atomkraftwerk Kosloduj vorgelegt habe. Die Kommission verzichtet darauf, den Aspiranten konkrete Beitrittstermine in Aussicht zu stellen. Allerdings solle die Union ihrerseits sich verpflichten, bis Ende 2002 intern die für eine Aufnahme neuer Mitglieder notwendigen institutionellen Reformen vollendet zu haben. Ob es dann Anfang 2003 zu ersten Beitritten kommen könne, liege ausschließlich an der Reform- und Anpassungsbereitschaft der Kandidaten, betonte Prodi. Der Türkei, die sich seit mehr als zehn Jahren erfolglos um eine Aufnahme in die EU bemüht, wird von der Kommission nunmehr ein "eindeutiger Kandidaten-Status" bescheinigt. Die Aufnahme konkreter Beitrittsverhandlungen könne jedoch erst ins Auge gefasst werden, wenn die Regierung in Ankara Defizite insbesondere bei den Menschenrechten behoben habe, schränkte Brüssel ein.
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