Die Welt, 14.10.1999 Rot-Grüner Streit um Waffengeschäft mit Türkei Bundessicherheitsrat muss über Rüstungsauftrag aus Ankara entscheiden - Kanzler hat das letzte Wort Von Joachim Schucht Berlin - Aus Furcht vor neuem Zündstoff in der rot-grünen Koalition wurde das brisante Thema monatelang immer wieder auf die lange Bank geschoben. Doch nun nähert sich die Stunde der Wahrheit. Voraussichtlich an diesem Donnerstag wird sich der geheime Bundessicherheitsrat damit befassen, ob sich die Bundesrepublik ein einträgliches Rüstungsgeschäft entgehen lassen soll. Der Auftrag hat ein Volumen von 14 Milliarden Mark, rund 6 000 Arbeitsplätze in Deutschland können nach Angaben der Industrie damit zehn Jahre gesichert werden. Das Problem ist der Auftraggeber. Die türkischen Generäle wollen für die Modernisierung ihrer Streitkräfte zunächst mindestens 1 000 neue Kampfpanzer für eine Lizenz-Produktion ordern. Am liebsten wäre den Militärs in Ankara das deutsche Qualitätsprodukt Leopard II aus der Münchener Waffenschmiede Krauss-Maffei-Wegmann. Die Mannesmann-Tochter muss sich gegen starke internationale Konkurrenz behaupten. In der engeren Auswahl sind Konkurrenten aus den USA, Frankreich, Italien und der Ukraine. Die Zeit drängt. Nach der Ausschreibung sollen bis spätestens Ende November Testpanzer am Bosporus eingetroffen sein. Noch in diesem Monat sollen die Schulungen für die türkischen Panzerführer bei den Anbieterfirmen anlaufen. Vor diesem Hintergrund kann sich die Regierungskoalition kaum leisten, das heikle Thema erneut vor sich herzuschieben. Angesichts der verhärteten Fronten bei den Mitgliedern im Bundessicherheitsrat ist derzeit eine Vertagung der Entscheidung nicht auszuschließen. Dies würde bedeuten, dass die Aussichten für den Zuschlag aus Ankara geringer würden. Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), die im Dezember neu in den Sicherheitsrat aufgenommen wurde, will auf keinen Fall dem Geschäft zustimmen. Dagegen ist der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller für das Geschäft, ebenso wie Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD). Außenminister Joschka Fischer bereitet die Festlegung offenkundig noch einige Bauchschmerzen. Nicht zuletzt mit Blick auf die unvermeidliche Empörung bei der Grünen-Basis tendiere Fischer aber eher dagegen, heißt es aus dem Koalitionslager. Bei einem solchen Patt läge die Entscheidung bei Bundeskanzler Schröder. Ähnlich wie bei den Grünen würde ein positives Kanzlervotum für das sensible Waffengeschäft auch in der SPD erheblichen Ärger auslösen. Ob die Fraktion zustimmen würde, gilt als fraglich. Die Parteilinke verweist auf den Passus im Koalitionsvertrag, Rüstungsexporte künftig restriktiver zu handhaben als die Vorgängerregierung. Ausdrücklich war in dem Abkommen festgelegt worden, den "Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium" einzuführen. Und damit verböten sich solche Geschäfte mit Ankara von selbst. Auch mit der angekündigten Neufassung der Richtlinien für Waffenexporte tut sich die Regierung immer noch schwer. Mehrfach wurde eine Beschlussfassung im Kabinett, angeblich nach kräftigen Demarchen aus Müllers Ressort, verschoben. Fraglich ist inzwischen, ob es am nächsten Mittwoch im Kabinett darüber zum Schwur kommt. Berichte, die türkische Armee setze absprachewidrig in Deutschland gekauftes oder aus Beständen der DDR-Armee nach der Wende geliefertes Militärgerät in Kurdengebieten ein, sorgten immer wieder für politischen Streit. Wegen nicht genehmigter Lieferung von Leopard-Panzern musste Gerhard Stoltenberg (CDU) 1992 seinen Hut als Verteidigungsminister nehmen. dpa
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