Kölner Stadt-Anzeiger, 15.10.1999 Türkei als EU-Kandidat Union: Riskantes Unterfangen Türkische Zeitungen begrüßen Vorschlag der Kommission Berlin - Die von der EU-Kommission vorgeschlagene und von der Bundesregierung unterstützte offizielle Einstufung der Türkei als Kandidat für einen Beitritt zur EU ist von der CDU/CSU kritisiert worden. Ihr außenpolitischer Sprecher Karl Lamers nannte den offiziellen Kandidaten-Status am Donnerstag in Berlin ein "riskantes Unterfangen". Es könnte bestenfalls zu einer grundsätzlichen Klärung des Platzes der Türkei in Europa führen, "schlimmstenfalls und wahrscheinlicher zu einer weiteren Enttäuschung und tieferen Entfremdung". Lamers verwies darauf, die in der türkischen Verfassung abgesicherte starke Stellung des Militärs sowie die Lage der Menschenrechte in dem Land stünden einer EU-Mitgliedschaft entgegen. Wenn unreparabler Schaden vermieden werden solle, müsse spätestens jetzt sofort "ein vertrauliches und offenes Gespräch mit der Türkei über die wahren Probleme ihres Verhältnisses zu Europa beginnen", forderte der CDU-Politiker. Außerdem müsse sich auch Europa darüber im Klaren werden, wie es mit der Freizügigkeit stehe und der inneren Balance in der EU, wenn sie ein Land mit 80 und bald 100 Millionen Einwohnern aufnähme?" Bundeskanzler Gerhard Schröder hat hingegen noch am Mittwochabend den Vorschlag der Kommission begrüßt. Schröder will auf dem an diesem Freitag im finnischen Tampere beginnenden EU-Sondergipfel bei den übrigen Staats- und Regierungschefs dafür werben, dass der Türkei auf dem regulären Dezember-Gipfel in Helsinki offiziell der Kandidaten-Status zuerkannt wird. In der türkischen Presse ist die Empfehlung der EU durchweg begrüßt worden. Auf dem Gipfel in Luxemburg vor zwei Jahren war die Türkei, die bereits 1963 einen Antrag auf Aufnahme in die EU gestellt hatte, wegen ihrer mageren Menschenrechtsbilanz abgewiesen worden. Pro-kurdische Zeitungen verwiesen jedoch auf das Problem des zum Tode verurteilten Kurdenführers Abdullah Öcalan. Gegen die Vollstreckung des Todesurteils gibt es in der EU Vorbehalte. Außerdem könnte der Zypern-Konflikt dem EU-Beitritt der Türkei im Wege. Die seit dem türkischen Einmarsch von 1974 geteilte Insel will ebenfalls in die EU. Gegenwärtig verhandelt die EU mit der griechisch-zyprischen Regierung im Südteil der Insel. Einige EU-Länder haben sich gegen die Aufnahme eines geteilten Zypern gewandt. Griechenland hat bereits erklärt, im gespannten griechisch-türkischen Verhältnis könne es keine grundlegenden Fortschritte geben, "wenn es keine Lösung in Zypern gibt". Dass Griechenland nichts mehr gegen die Aufnahme der Türkei in die Reihe der EU-Beitrittskandidaten einzuwenden habe, sei nicht unumstößlich. (ap, rtr) KStA
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