Schwäbische Zeitung online, 17.10.99 EU will bis 2004 einen gemeinsamen Rechtsraum schaffen Tampere (dpa) - Die Europäische Union will nach dem Markt ohne Grenzen und der gemeinsamen Währung Euro innerhalb von fünf Jahren auch die Asyl- und Justizpolitik weitgehend angleichen. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich zum Abschluss ihres Sondergipfels im finnischen Tampere am Samstag auf einen gemeinsamen Rechtsraum geeinigt, in dem auch die Verbrechensbekämpfung verbessert und die Flüchtlingsströme gesteuert werden. Als Zieldatum für dieses ehrgeizige Projekt wurde das Jahr 2004 festgelegt. Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach von einem neuen «großen europäischen Integrationsprojekt». Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac nannte das Vorhaben der EU einen «bedeutenden Anspruch vor der Jahrtausendwende». Kommissionspräsident Romano Prodi sagte: «Wir haben am Vorabend der Erweiterung eine neue Stufe betreten.» Die EU strebt danach ein gemeinsames europäisches Asylsystem an, das auch künftig denjenigen, die berechtigerweise Schutz suchen, Aufnahme garantiert. Gleichzeitig soll jedoch die illegale Zuwanderung sowie das Schlepper-Unwesen entschiedener bekämpft werden. Schröder sagte, eine Änderung des sehr liberalen deutschen Asylrechts sei dabei nicht erforderlich. Bei den Diskussionen in Tampere zeigte sich, dass es bis zur Angleichung dieser Politik noch erhebliche Widerstände zu überwinden gilt. Großbritanniens Außenminister Robin Cook etwa sprach sich gegen eine allgemeine Harmonisierung aus. Finnlands Regierungschef Paavo Lipponen sagte, es gehe zunächst darum, sich auf Mindestregeln zu einigen. Lipponen sagte, die EU habe damit Meilensteine für ein gemeinsames Ziel gesetzt: «Eine offene und sichere Union, die fest in seiner Verpflichtung zur Freiheit wurzelt.» Weiter wird ein gemeinsames Vorgehen gegen Rassismus und Fremdenhass angestrebt. Auch sollen die Rechtssysteme innerhalb der EU angeglichen, Urteile gegenseitig anerkannt und ein verbessertes Auslieferungsverfahren geschaffen werden. Gemeinsam will man auch gegen Geldwäsche vorgehen. Deutschland konnte sich mit seiner Forderung nach einer gerechteren Verteilung der Lasten bei der Aufnahme von Asylsuchenden und Flüchtlingen nicht durchsetzen. In der Schlusserklärung wurde lediglich der Auftrag gegeben, die Einrichtung eines Flüchtlingsfonds zu prüfen. Schröder sagte, es müsse noch geklärt werden, für welche Fälle er gelten und wie er finanziert werden solle. Im Entwurf der Schlusserklärung war noch eine Summe von 250 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre genannt worden. Die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln aus dem EU-Haushalt lehnte Deutschland als größter Beitragszahler ab. Zum außenpolitischen Teil der Gespräche meinten der Kanzler und Chirac, sie erwarteten, dass auf dem nächsten EU-Gipfel in zwei Monaten in Helsinki die Türkei den Status eines Beitrittskandidaten erhalten werde. «Ich gehe davon aus, dass wir das schaffen werden. Deutschland ist dafür,» sagte Schröder. Lipponen sagte, die EU erwarte aber auch Signale von Ankara. «Die Türkei wird Kandidat, ohne dass Verhandlungen beginnen.» Die Staats- und Regierungschefs hatten sich auch darauf verständigt, dass die EU bis 2003 durch eigene Reformen aufnahmebereit für neue Mitglieder sein soll. Gegenwärtig werden Beitrittsverhandlungen mit Ungarn, Polen Tschechien, Estland, Slowenien und Zypern geführt. Weitgehende Übereinstimmung herrschte, im Dezember beim EU-Gipfel in Helsinki diesen Kreis um Bulgarien, Rumänien, Lettland, Litauen, die Slowakei und Malta zu erweitern. Bei den außenpolitischen Themen drückten die Gipfelteilnehmer ihre Besorgnis über die Ereignisse in Tschetschenien aus. Schröder sagte, dass Terrorismus kein Anlass für Krieg sein könne. Der Militärputsch in Pakistan wurde in einer Erklärung der Außenminister verurteilt und vor Konsequenzen gewarnt, die unter anderem den Stopp von Hilfe vorsehen könnte, falls das Land nicht zur Demokratie zurückkehre. Dem früheren Nato-Generalsekretär Javier Solana soll in der EU- Außenpolitik eine stark herausgestellte Stellung genießen. Der Spanier tritt an diesem Montag sein Amt als EU-Beauftragter für die Außen- und Sicherheitspolitik, als «Mister Europa», an. In der Schlusserklärung des Gipfels heißt es dazu unter anderem, der Gipfel erwarte, dass «Javier Solana einen Schlüsselbeitrag» auf dem Weg zur Stärkung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie zur Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik leisten werde. Er werde sich dabei «auf die uneingeschränkte Unterstützung» der Staats- und Regierungschefs verlassen können.
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