Neue Züricher Zeitung 18.10. Herausgegriffen: Asylpolitik - Chaos oder Erfolg? C. W. Es wäre ein schlechtes Zeichen für das Funktionieren der Demokratie, wenn die Asylpolitik im Wahlkampf kein Thema wäre. Die Parteien haben denn auch ihre Programme und Positionspapiere dazu (vgl. NZZ vom 26. 8. 99). Aufschlussreich sind aber ebenfalls die mehr oder weniger verkürzten «Botschaften», die schliesslich an die breite Wählerschaft gerichtet werden. Am plakativsten macht sich wohl unbestrittenermassen die Schweizerische Volkspartei bemerkbar. Unter dem Titel «Asylmissbrauch heisst die Schweiz verachten» verkündet die Zürcher SVP unaufhörlich: «90 Prozent aller Asylbewerber sind keine echten Flüchtlinge.» Stimmt das? Zwar fielen in den ersten Monaten dieses Jahres nur 6,6 Prozent der Asylentscheide im engsten Sinn positiv aus. Doch berücksichtigt man vernünftigerweise die formelle Aufnahme von Kriegsflüchtlingen mit, so steigt namentlich durch den Einbezug der etwa 27 000 Kosovo-Albaner in diesem Zeitraum der Anteil der «Echten» auf rund drei Viertel. Ob die verbleibenden abgewiesenen Gesuchsteller alle des Missbrauchs zu bezichtigen seien, ist eine andere, subjektiv zu beantwortende Frage. Deutlich ist jedenfalls: Wer in diesem Jahr hauptsächlich von Missbrauch redet und wer mit einer Initiative Asylsuchende aus benachbarten Transitländern vom Flüchtlingsstatus ausschliessen will, dem ist nicht nur der Miss-, sondern auch der Gebrauch des Asyls zuwider. *Als sichere Alternative zur SVP möchte sich die Sozialdemokratische Partei empfehlen - wie wenn nicht gerade heute eine starke Mitte benötigt würde. Während die SP beim freien Personenverkehr mit der EU die Befürchtungen schweizerischer Arbeitnehmer sehr ernst nahm, liess sie sich zur Asylpolitik wenig vernehmen. Das ist offenbar kein Zufall. «Bei diesem Thema kann die SP nur verlieren», liest man als Begründung des Parteisprechers in der «Weltwoche». Da bleiben einem tatsächlich die Worte weg. *Leicht ist es natürlich nicht, gegen die angeblich oder real herrschende Stimmung anzugehen. Ganze sechs Nein gab es, als der Ständerat mit einer Motion die Wiedereinführung der «Internierung für weggewiesene Ausländer» in Auftrag gab. Vergeblich hatte Bundesrätin Metzler daran erinnert, dass das Parlament vor wenigen Jahren mit Zustimmung des Volkes diese Zwangsmassnahme durch die Ausschaffungshaft ersetzt hatte. Sowohl als Beugehaft (als Druckmittel etwa zur Beschaffung von Reisepapieren) wie auch als allgemeine Präventivhaft (wegen eines Risikos von Straffälligkeit) würde die Internierung sehr wahrscheinlich gegen schweizerische Menschenrechte verstossen. Aber gegen Stichworte wie «Kriminelle» oder «Renitente» richteten solche Gedanken wenig aus. *Gegen den Reflex, wie er in der «chambre de réflexion» gespielt hat, scheint allerdings die Justiz- und Polizeiministerin selber nicht ganz gefeit zu sein. «Ausländerinnen und Ausländer, die straffällig geworden sind, haben ihre Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz verwirkt», schreibt Ruth Metzler-Arnold in einem Inserat der Christlichdemokratischen Volkspartei. Das ist wohl nicht ganz so gemeint; denn keineswegs jeder unter den 1,4 Millionen Ausländern, der ein Delikt begeht, kann und soll aus dem Land gewiesen werden. Auch betont der sichtlich ausgewogene Inserattext Herz und Vernunft. Er verspricht «machbare Flüchtlingspolitik, die Resultate zeigt». *Gewisse Resultate genügten der Freisinnig- Demokratischen Partei noch nicht, als sie mit einer dringlichen Interpellation darauf drängte, die Ausreisefrist für Kriegsflüchtlinge aus Kosovo auf Ende Dezember vorzuverlegen. Doch man hätte ihr vorgehalten, dass dies nicht machbar sei - wäre die Debatte nicht von der Traktandenliste gestrichen worden. Nun liest es sich in der Propaganda so: «Rasche Rückkehr der Kosovo-Vertriebenen (. . .) dank der FDP . . . und nicht wegen der Nein-Sager.» Die Partei hat sich auf Erfolge (nicht nur eigene) besonnen, und dies mit Grund. Während etwa die Schweizer Demokraten von «Asylchaos» sprechen, ist in diesem Jahr neben einem Rekord an - erstaunlich geordneten - Aufnahmen auch ein Rekord an erledigten Gesuchen und an freiwilligen Rückreisen zu verzeichnen.
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