Süddeutsche Zeitung 18.10.1999 Ein erster Schritt auf einem langen Weg Bis zum vereinbarten gemeinsamen Asylrecht muss die EU noch viele Hindernisse überwinden Von Andreas Oldag Der EU-Gipfel im finnischen Tampere hat die Weichen für einen weiteren Schritt zur Einigung der Europäischen Union gestellt. In den nächsten fünf Jahren soll die Gemeinschaft einen 'Raum der Sicherheit und des Rechts' schaffen. Ziel ist eine gemeinsame Asyl- und Justizpolitik. Für Bundeskanzler Gerhard Schröder geht es dabei um ein ähnlich ehrgeiziges Projekt wie den Aufbau des Binnenmarktes und die Gründung der Währungsunion. 'Wir müssen Europa dem Bürger näher bringen', meinte der Kanzler in Tampere. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac sah eine 'historische Entscheidung' vor der Jahrtausendwende. Tatsächlich gelang in Tampere ein respektabler Verhandlungserfolg, den viele Kritiker nach den endlosen Streitereien über die Agenda 2000 und die EU-Finanzreform im vergangenen Halbjahr nicht für möglich gehalten hatten. Eine Rolle spielt dabei nach Meinung von EU-Diplomaten auch die geschickte Verhandlungsführung der Finnen, denen es gelang, die Partner auf eine gemeinsame Asyl- und Rechtspolitik einzuschwören. Gleichzeitig aber wurden Streitpunkte wie die von der Bundesregierung angemahnte Lastenteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden in der Abschlusserklärung des Gipfels gar nicht erwähnt. 'Um diese heikle Frage zu klären, hätte der Gipfel noch eine Woche dauern müssen', meinte ein finnischer Regierungsbeamter. Auch ein ursprünglich geplanter Hilfsfonds für Bürgerkriegsflüchtlinge wurde wegen Differenzen über die Finanzierung nicht weiter verhandelt. Bedenken meldete Deutschland an, das größter EU-Beitragszahler ist. Einigung auf Mindestziele Die EU hat in Tampere auf ein bewährtes Mittel ihrer Politik zurückgegriffen: Die Staaten einigen sich auf Mindestziele und Arbeitsaufträge an die Kommission. Dieses Verfahren lässt den Mitgliedstaaten im Notfall stets ein Hintertürchen offen. Denn auch wenn die Brüsseler Behörde, wie in Tampere beschlossen, eine Art Checkliste für die Angleichung der Asyl- und Justizpolitik vorlegen soll, bleibt es jeder Regierung vorbehalten, gegen einzelne Regelungen im Ministerrat noch ein Veto einzulegen. Die EU will nun ein gemeinsames Asylsystem schaffen, 'das sich auf die uneingeschränkte und allumfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention stützt'. Politisch verfolgten Menschen soll in allen Mitgliedstaaten Schutz geboten werden. Gleichzeitig will sich die Gemeinschaft gegen illegale Einwanderung und gegen Menschenhandel wappnen. Freilich zeigte sich in Tampere, dass die EU noch viele politische Widerstände überwinden muss, um zu einem gemeinsamen Asylverfahren zu kommen, das beispielsweise gleiche Aufnahmebedingungen und -verfahren für die Asylbewerber voraussetzt. Vorbehalte wurden unter anderem von Frankreich, besonders aber von Großbritannien angemeldet, das keine weiteren Souveränitätsrechte abtreten will. Den Bürgern will die EU künftig mehr Rechtssicherheit garantieren. So sollen Gerichtsurteile in einem Mitgliedstaat automatisch auch in den anderen EU-Ländern anerkannt werden. Dies ist wichtig, wenn es um das Sorgerecht für Kinder oder um Unterhaltszahlungen von geschiedenen Ehepartnern geht. Doch die juristische Zusammenarbeit soll sich nicht auf Zivilsachen beschränken. So betonten die Staats- und Regierungschefs in ihrer Abschlusserklärung, dass auch die Auslieferung von Straftätern innerhalb der EU erleichtert werden solle. Außerdem sollen Beweise, die von einem Gericht eines Mitgliedstaates erhoben werden, von jedem anderen Gericht eines EU-Partners anerkannt werden. Freilich bewegt sich die EU in Fragen gemeinsamer Regeln für die Strafjustiz auf dünnem Eis. Dieser Bereich ist im Gegensatz zum Zivilrecht im Amsterdamer Vertrag nicht in die Gemeinschaftskompetenz aufgenommen worden. Die Mitgliedstaaten können sich nur untereinander abstimmen. Immerhin bekannten sich die Staats- und Regierungschefs in Tampere aber dazu, die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Strafverfolgungsbehörden zu verbessern. Dazu soll eine Stelle mit der Bezeichnung 'Eurojust' eingerichtet werden, in der von den Mitgliedstaaten entsandte Staatsanwälte, Richter oder Polizeibeamte die Koordinierung der nationalen Staatsanwaltschaften erleichtern sollen. Außerdem soll ein europäisches Polizeikolleg gegründet werden, um die Beamten zu schulen. Mehr Kompetenz für Europol Auch die europäische Polizeibehörde Europol mit Sitz in Den Haag soll mehr Kompetenzen erhalten, beispielsweise bei der Bekämpfung der Geldwäsche und der Geldfälschung. Europol darf allerdings noch nicht selbst auf Verbrecherjagd gehen, sondern nur Ermittlungen koordinieren sowie Informationen sammeln, die an die nationalen Behörden weitergegeben werden.
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