HAZ, 21.10.99 Leo II "nur zur Ansicht" Soll Deutschland den Türken einen lang gehegten Wunsch erfüllen und ihnen Kampfpanzer vom Typ Leopard II liefern? Die rot-grüne Koalition ist zerstritten: Den Kanzler beeindruckt die Aussicht auf einen Milliarden-Auftrag, die Grünen schreckt die Vorstellung, deutsche Kanonen könnten sich in der Türkei gegen die Kurden drehen. Geliefert wird vorläufig nur ein "Ansichtsexemplar zu Testzwecken". Nur mit Mühe konnte Gerhard Schröder am Mittwoch einen Grundsatzstreit in seiner Koalition dämpfen. An die Fraktionsführungen von SPD und Grünen wurde die Losung ausgegeben, dass sich die Frage großer Waffenlieferungen an die Türkei gar nicht stelle: Ankara erhalte nur ein einziges Exemplar eines Leo-II-Kampfpanzers, und dies auch nur zur Ansicht. Ob daraus angesichts anderer internationaler Mitbewerber überhaupt jemals ein Auftrag werde, stehe in den Sternen. Die Generäle des Nato-Partners Türkei sind bereits seit langem an einer Modernisierung ihres Heeres interessiert. Gedacht ist an 1000 Leo-II-Panzer, die in der Türkei in Lizenz gebaut werden sollen. Die Herstellerfirma Krauss-Maffei Wegmann (München, Kassel) bezifferte das Auftragsvolumen mit sechs Milliarden Mark. Die Lieferung des Ansichtsexemplars wurde am Mittwoch im geheim tagenden Bundessicherheitsrat beschlossen. Unter Leitung des Kanzlers koordiniert dieses Kabinettsgremium die Sicherheitspolitik der Bundesregierung. Schröder setze den Beschluss gegen den Rat von Außenminister Joschka Fischer (Grüne) durch. Für die Lieferung stimmten Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, zeigte sich anschließend "tief entsetzt". Den Interessen der Rüstungsindustrie sei Vorrang vor der Menschenrechtspolitik eingeräumt worden. Beer bedauerte, dass Fischer seine Bedenken "nicht stärker zur Geltung" gebracht habe. Auch der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, nannte die Panzerlieferung "ein falsches Signal". Allerdings könne mit der Lieferung eines Testpanzers Zeit gewonnen werden, in der die Türkei ihre Politik ändern könnte. Beer sagte im Hinblick auf das Klima in der Koalition, sie wolle nichts an die Wand malen. Mit dieser Entscheidung sei aber der Geist der Koalitionsvereinbarung verletzt worden. In der Koalitionsvereinbarung vom vorigen Herbst hieß es: "Bei Rüstungsexportentscheidungen wird der Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium eingeführt." Militärexperten in Berlin wiederholten am Mittwoch die Einschätzung, im Kampf gegen die Kurden seien Panzer nicht zu gebrauchen, da es sich bei den betreffenden Gebieten in der Südosttürkei um unwegsames, bergiges Gelände handele. Die Lieferung von Artilleriewaffen im Wert von 250 Millionen Mark, die in den Bergen eingesetzt werden könnten, lehnte der Bundessicherheitsrat am Mittwoch ab. Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Paul Breuer, sprach von faulen Kompromissen. Die Türkei sei ein Nato-Partner, zudem werde ihr Beitritt in die EU diskutiert. Dazu passten nicht die jetzt geäußerten Vorbehalte. HJM, Berlin |