Die Welt, 21.10.99 Rüstungsindustrie hofft auf das große Geschäft Verkauf von Panzern und damit verbundene Folgeaufträge würden zehn Milliarden Mark einbringen Von Hans-Jürgen Leersch Berlin - "Die Waage neigt sich leicht für das Geschäft", freute sich am Mittwoch ein deutscher Sicherheitsexperte in Berlin. "Das Geschäft" könnte der größte Waffenhandel seit vielen Jahren werden. Einschließlich der möglichen Folgeaufträge könnten 10,305 Milliarden Mark in den Kassen der Münchener Waffenschmiede Krauss-Maffei-Wegmann und von Zulieferern klingeln, wenn es zur Lieferung deutscher Leopard-II-Panzer an die Türkei kommen würde. Nach Ansicht der meisten Beobachter hat der "Bundessicherheitsrat" am Mittwoch den ersten Schritt dazu getan, indem dieser Unteraussschuss des Bundeskabinetts der Lieferung eines Panzers in die Türkei zur Erprobung durch das dortige Militär zustimmte. Im Bundessicherheitsrat, dem neben Kanzler Gerhard Schröder die Minister der acht wichtigsten Ressorts angehören, prallten die innerparteilichen Gegensätze des Regierungslagers voll aufeinander. Während Schröder, Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Wirtschaftsminister Werner Müller die Lieferung eines Testfahrzeuges befürworteten, lehnten Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) das Projekt strikt ab. Das Kalkül von Grünen und SPD-Linken ist leicht zu erklären: Wenn das Testfahrzeug nicht geliefert würde, wäre Krauss-Maffei aus dem Panzergeschäft sofort draußen, da die Türkei einen internationalen Wettbewerb ausgeschrieben hat. Die Türkei möchte ab 2004 etwa 1000 Panzer auf Basis ausländischer Technologie weitgehend im Lande selbst montieren. Kraus-Maffei muss nicht nur gegen deutsche Bedenken, sondern auch gegen eine mächtige ausländische Konkurrenz antreten: So bewerben sich der amerikanische Konzern General Dynamics, aber auch französische, russische, ukrainische, italienische und südkoreanische Panzerschmieden. Würden die Deutschen den Zuschlag erhalten, würde allein das Leopard-II-Projekt sechs Milliarden Mark bringen. Aber die Türkei braucht noch mehr militärisches Gerät. So müssten 150 Kampfpanzer vom Typ Leopard I im Bestand der türkischen Armee dringend modernisiert werden, was 75 Millionen Mark kostet. 500 moderne Panzerhaubitzen vom deutschen Typ PzH 2000 sollen in der Türkei von einem Generalunternehmer gefertigt werden. Für deutsche Zulieferer wären 2,8 Milliarden Mark Einnahmen möglich. Doch hier gab es im Bundessicherheitsrat frühe Sperren: Einzelteile für Haubitzen, so der Beschluss, sollen nicht geliefert werden. Offenbar wollte Schröder damit die kochende grüne Parteiseele besänftigen, weil Haubitzen gegen die Kurden eingesetzt werden könnten. 460 Millionen Mark könnte die Lieferung von Flak-Panzern einbringen, für Berge- und Brückenlegepanzer könnte die Türkei nochmals 700 Millionen hinlegen, und weitere Lieferungen im Zusammenhang mit dem Panzergeschäft könnten sich auf 270 Millionen Mark addieren. Kampfpanzer, so die Erkenntnis selbst im Bundessicherheitsrat, sind zu keinem Zeitpunkt gegen Kurden eingesetzt worden. Sie seien für diese Art Einsätze auch grundsätzlich nicht geeignet, heißt es ergänzend aus der Industrie. Die Türkei benötige moderne Panzer zur besseren Verteidigungsbereitschaft an ihren Grenzen zu Syrien, zum Irak und zum Iran. Die Regierung in Ankara möchte am liebsten deutsches Gerät erwerben, sieht sich aber starkem amerikanischen Druck ausgesetzt. So will die US-Regierung der Türkei 350 gebrauchte Panzer vom Typ M1 schenken, falls das 1000-Panzer-Geschäft mit General Dynamics gemacht werden sollte. Folge: Die gesamte türkische Panzertruppe wäre dann mit US-Material bestückt. Sicherheitsexperten führen noch weitere Gründe an: Die Türkei sei die Drehscheibe zur islamischen Welt. Angesichts des Einflusses der türkischen Militärs auf die Innenpolitik sei Kooperation im Rüstungsbereich wichtig. Über Schulungen bei der Bundeswehr könnten "abstruse Gedanken" in den Köpfen der Militärs verändert und die Türkei stärker an den Westen gebunden werden. Auch die deutschen Soldaten hätten nach dem Zweiten Weltkrieg die "Armee in der Demokratie" erst lernen müssen. |