jw, 21.10.99 Panzerlieferung nicht zum jetzigen Zeitpunkt? jW sprach mit der bündnisgrünen Abgeordneten Claudia Roth (Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages) F: Unter Rot-Grün sollen weiterhin deutsche Panzer an die Türkei geliefert werden. Sie haben die Entscheidung vom Mittwoch kritisert. Am Mittwoch wurde entschieden, daß man ein Musterexemplar des Leopard-II-Panzers an die Türkei entsendet. Das ist absolut falsch. Es war sowohl ein rabenschwarzer Tag für die Menschenrechte als auch ein rabenschwarzer Tag, was die Glaubwürdigkeit deutscher Menschenrechtspolitik angeht. Die Türkei benötigt ohne Zweifel Unterstützung auf dem Weg zu mehr Menschenrechten, zur Demokratie, zur politischen Lösung der kurdischen Frage, zur Meinungsfreiheit. Aber dieser Freundschaftsdienst an der Türkei wird nicht durch die Lieferung von Panzern zu bewerkstelligen sein. F: Wie ist innerhalb Ihrer Partei die Haltung gegenüber diesem Waffengeschäft? Ich habe bislang niemanden in unserer Partei gehört, der eine solche Politik unterstützen würde. Es hat mit grüner Glaubwürdigkeit zu tun, auf die negativen Folgen von Rüstungsexporten hinzuweisen. In der Vergangenheit haben die Grünen immer wieder zu recht die alte Regierung für die sehr lockeren Rüstungsexporte in die Türkei kritisiert, die auch dazu beigetragen haben, daß mit deutschen Waffen ein Krieg in der Türkei möglich wurde und Menschenrechte verletzt worden sind, die kurdische Frage »militärisch gelöst« werden sollte. Die Schenkung von alten NVA-Gerätschaften wurde von uns zu recht kritisiert, weil man bisweilen meinte, auf einem deutschen Truppenübungsplatz zu sein, wenn man sich in den kurdischen Gebieten bewegte. Alles war richtig an dieser Kritik. Nun vermag ich nicht nachzuvollziehen, warum es jetzt richtig sein sollte, sich für ein Waffengeschäft zu bewerben. Die Menschenrechtssituation in der Türkei hat sich nicht zufriedenstellend entwickelt. Es existiert keine gefestigte Demokratie, keine gefestigte Rechtsstaatlichkeit, es gibt nach wie vor Menschenrechtsverletzungen, völkerrechtswidrige Übergriffe auf den Nordirak, und es gibt eine Todesstrafe, die droht, exerziert zu werden. F: Wie erklären Sie sich, daß unter Rot-Grün dennoch ein solches Geschäft zustandekommen kann? Ich kann es mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen. Ich bin darüber sehr wütend. Wenn man sich hinstellt und sagt, Menschenrechte in allen Bereichen sind das Leitmotiv deutscher Politik, dann muß man zu einer anderen Schlußfolgerung in dieser Entscheidung kommen. Ökonomische Interessen sind davon nicht zu trennen. Ganz offensichtlich stand aber in dieser Frage sehr viel mehr das ökonomische Interesse im Vordergrund. Außerdem habe ich diese Entscheidung auch nicht für möglich gehalten, weil sie auch die richtige Türkei- Politik von Außenminister Fischer in ein falsches Licht rückt. Er hat sich sehr dafür eingesetzt, daß die Türkei auch ohne Vorbedingungen in den Kreis der Kandidaten für die Europäische Union aufgenommen wird, um Demokratie und Menschenrechte zu erreichen. Die nun gefällte Entscheidung suggeriert, allein die Debatte um den Kandidatenstatus würde ausreichen, um sich ruhigen Gewissens an einem Panzergeschäft zu beteiligen. Die EU-Politik gegenüber der Türkei war bislang unglaublich heuchlerisch. Man hat die Türkei über 36 Jahre am langen Arm ausgestreckt vor sich her getrieben, sich nicht an Abkommen gehalten, wenn es politisch paßte, von Menschenrechten gesprochen, gleichzeitig Waffen geliefert. Beitrittsverhandlungen können geführt werden, wenn bestimmte Kriterien erfüllt werden, dann spielt die Religion überhaupt keine Rolle. Wenn nun, noch bevor diese Entwicklung beginnt, der Türkei solche Panzer angeboten werden und damit suggeriert wird, alles sei in Ordnung, warum sollten dann von der Türkei überhaupt Veränderungen vorgenommen werden? F: Werden Sie etwas unternehmen, um dieses Geschäft doch noch zu verhindern? In meinen Augen befinden wir uns jetzt in einer wirklich schweren Krise. Die Ebenen der Partei und der Fraktion müssen reagieren und klarmachen, daß es zum momentanen Zeitpunkt völlig undenkbar ist, in die Türkei Waffen zu liefern. Die Gefahr ist, daß wir durch diese Musterverschickung schon fast voll in dem Waffengeschäft stecken. Es müssen Bedingungen definiert werden, unter denen Waffengeschäfte überhaupt nur möglich sind, auch in ein NATO-Land, auch in ein Land, das möglicherweise Kandidat wird für die EU. Eine deutliche Verbesserung der Richtlinien der Bundesregierung ist notwendig. Die Kriterien für die Menschenrechte und die Kriterien, nach denen nur Waffen in ein Land geliefert werden können, müssen sehr viel strenger und klarer definiert werden. F: Das Prozedere sollte Ihrer Ansicht nach nur klarer geregelt werden? Es wird ja schon über die Richtlinien für Rüstungsexport diskutiert. Diese Entscheidung vom Mittwoch macht deutlich, daß im Rahmen der Koalition auf höchster Ebene klargestellt werden muß, daß Glaubwürdigkeit nicht nur davon abhängt, daß man viel von Menschenrechten redet, sondern sich dann in der Realität auch tatsächlich einsetzt und nicht, wenn es um ökonomische Interessen geht, die Menschenrechte im Zweifelsfalle hintenanstehen. Interview: Ina Kaden |