Tagespiegel, 21.10.99 Dem Kanzler sind Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie wichtiger als Klagen der Grünen über Menschenrechtsverstöße Thomas Kröter Das Gremium tagt so geheim, dass selbst die Tatsache, dass es tagt, offiziell nur widerwillig bestätigt wird. Normalerweise hält sich Joschka Fischer präzise an solche Formalien. Aber diesmal machte der Außenminister eine Ausnahme. "Ich werde mich dagegen aussprechen", kündigte er sein Abstimmungsverhalten im "Bundessicherheitsrat" schon vor der Sitzung am Mittwoch an. Es geht um ein Thema, für die Identität seiner Partei fast so wichtig wie der Atomausstieg: Rüstungsexport - genauer: Die Lieferung von Panzern an die Türkei, wo nicht nur aus grüner Sicht die Menschenrechte verletzt werden. Ein Land allerdings auch, das Mitglied der Nato ist und zu dem Deutschland auch nach Meinung Fischers beste Beziehungen unterhalten soll. Ein klassisches Dilemma der Politik also, das den kleineren Koalitionspartner beutelt. Bundeskanzler Schröder sprach sich im fünfköpfigen Inneren Zirkel des Ausschusses ebenso für die Lieferung aus wie Wirtschaftsminister Müller. Auch Scharping ist dafür. Sie denken nicht nur an Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch an heimische Arbeitsplätze. Sechs Milliarden Mark ist der deutsche Anteil an dem möglichen Lizenzbauprojekt mit der Türkei wert. 6000 Arbeitsplätze würde er nach Angaben der Industrie zehn Jahre lang sichern. Fischer und Heidemarie Wieczorek-Zeul, als Entwicklungsministerin neu in dem seit der Bundestagswahl zum vierten Mal tagenden Gremium, führten vor allem die Frage der Menschenrechte an. Vergeblich. Hat der Außenminister nach dem Vorbild von Umweltminister Trittin gehandelt, der sich gegen Schröders Nein zur EU-Altautoverordnung aussprach, dann aber widerstandslos den Kurs des Kanzlers exekutierte? Aus Koalitionskreisen heißt es: Nein. Selbst im linken Spektrum der Bundestagsfraktion nimmt man Fischer ab, dass er wirklich gekämpft hat. Aber die sozialdemokratische Mehrheit ließ sich nicht umstimmen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Müller (im Urlaub) und Schlauch (im baden-württembergischen Kommunalwahlkampf) ließen in Berlin eine Erklärung mit scharfer Kritik verbreiten. Das reichte natürlich nicht. Die SPD-Linke, vor der Sitzung mutig, signalisierte danach bereits Einlenken. Dabei wird darauf verwiesen, dass es noch gar nicht um die Lieferentscheidung ging. Das ist richtig. Zunächst hat die Bundesregierung nur zugestimmt, dass die türkische Armee einen Leopard-II zum Test bekommt. Der muss sich dann im Vergleich etwa mit dem amerikanischen M1, dem französischen Leclerc und dem italienischen Ariete bewähren. Experten schätzen die Chancen des Leo jedoch als blendend ein. Die Entscheidung fällt 2001. Der Bundessicherheitsrat hat aber nicht nur Ja gesagt. Er sagte auch Nein zu einem 250-Millionen-Auftrag für Geschützteile. Anders als der Leopard, so wird argumentiert, könnten diese im kurdischen Bergland gegen die Bevölkerung eingesetzt werden. Die Bundesregierung entscheide also sehr differenziert, heißt es. Schon gibt es Gerüchte, dass die Türkei weitere Wünsche hat. Es geht um Minensuchboote. Hierzu hat man im sozialdemokratischen Teil der Regierung eine einfache Position: "Alles, was schwimmt, geht". |