Frankfurter Rundschau, 22.10.1999 Leitartikel Kommentar Panzer für Ankara Angenommen, Ankara ordert tausend solche Militärgeräte tatsächlich, dann kann Berlin erst recht nicht mehr absagen Von Karl Grobe Es geht nicht um einen Panzer, sondern um tausend, also ein nicht ganz geringes Geschäft mit der Türkei. Das Votum des Bundessicherheitsrats bezeichnet Interesse. Das Ansichtsexemplar, dessen Lieferung er - mit ungewissen Folgen für die Koalition - zugestimmt hat, wird ja nicht als Muster ohne Wert den türkischen Militärs überstellt, sondern als Beleg für jene Art deutscher technischer Tüchtigkeit, die, wie ihre Manager hoffen, der Konkurrenz überlegen ist. Sie wollen sich nicht von einem Markt verdrängen lassen, der Zukunft hat, weil die nach Rüstung verlangenden Krisen der Region noch erfreulich lange erhalten bleiben. Um zuerst vom Geld zu reden: Das Kampfpanzer-Geschäft ist nach türkischen Quellen sieben Milliarden Dollar schwer und steht auf dem Einkaufszettel für Waffen an erster Stelle. In den nächsten zehn Jahren will die türkische Regierung, wie interessierte US-amerikanische Stellen errechnet haben, insgesamt 31 Milliarden Dollar für technisches Kriegsgerät ausgeben. Der Welt-Umsatz der Branche liegt bei jährlich 55 Milliarden. Man sieht, der Markt dort ist interessant. Gegenwärtig beherrschen ihn die USA zu fast zwei Dritteln. Das hat nicht nur Qualitätsgründe. Seit die Europäische Union der Regierung von Ankara eine lange Bank hingestellt hat, auf der sie bis zu richtigen Beitrittsverhandlungen Platz nehmen darf, kauft besagte Regierung lieber in der Neuen Welt. Keiner merkt, dass dies ein politisches Druckmittel ist: Wenn die Europäer mit ethischen und moralischen sowie allgemein politischen Vorhaltungen kommen, können wir auch woanders kaufen; das kostet europäische Arbeitsplätze und schmälert dort die Profite. Ja, dann ist Schweifwedeln angesagt. Dann sind Grundsätze, sagen wir mal, sachfremd. Dann ist selbst die Frage destruktiv, ob nicht die Militärdemokratur und ihre von den Kasernen her kontrollierten zivilen Nachfolger die Probleme erst geschaffen haben, die danach mit deutscher Wertarbeit in Panzergestalt sozusagen gelöst werden sollen. Dann werden selbst die vorhandenen Defizite an Demokratie, Menschenrechten, Zivilgesellschaft in Kauf genommen, wiewohl vielleicht nicht unbedingt billigend. Um dieser Interessen willen, oder doch sie unbewusst fördernd, ist die Entscheidung über den Muster-Leo am Parlament vorbeigeschleust worden; der Bundestag hat in solchen Sachen keine Stimme und kein Revisionsrecht. Der Bundesregierung, in Gestalt des Bundessicherheitsrats, soll es nach herrschender Meinung indessen eher um die Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik gegangen sein: Sie will den Beitritt der Türkei zur EU, über den noch längst nicht verhandelt wird, hoffend, dass diese Haltung zu Reformen führen werde; den Muster-Leo nicht zu genehmigen, hätte Hoffnungen und Strategie entkräftet. Überdies sei dies eine Geste, der nichts Verpflichtendes folgen müsse. Nein. Angenommen, Ankara ordert tausend solche Militärgeräte tatsächlich, dann kann Berlin erst recht nicht mehr absagen. Wer meint, eine in der eigenen Vorstellungswelt bestehende Glaubwürdigkeitslücke durch den Hinweis auf eine späterhin neu zu schaffende Lücke erst einmal schließen zu können, muss zunächst den Vorwurf der Hochnaivität entkräften und dann den Verdacht der Geringschätzung eigener verkündeter Prinzipien aus der Welt schaffen. Das gelingt wohl nicht. Fakten sprechen dann; man nennt dies vornehm: Sachzwang. Die rot-grünen Koalitionspartner hatten einmal verabredet, UN und OSZE zu stärken (und nicht die überdies mit neuer Globalstrategie versehene Nato); den Menschenrechten, den Sozialreformen, der Demokratie Unterstützung zu geben. Der erste Vorsatz ist in der Kosovo-Frage ins Gegenteil gekehrt worden; es ist müßig, auf das zu erwartende Veto aus Moskau und Peking gegen die Militäraktion zu verweisen, aber es ist angebracht, sich der Tatsache zu erinnern, dass dieser Einsatz weder Massenvertreibung verhindert noch auch nur annähernd demokratische und allgemein menschenwürdige Verhältnisse bisher auf den Weg gebracht hat. Nur: Die UN haben Schaden genommen. Dies auch jenseits von Südost-Anatolien. Die Eingriffe der türkischen Armee in Nordirak, die ständige Missachtung der dort bestehenden Staatsgrenze, die bewaffnete Einmischung in einer einst von den UN zur Kurden-Schutzzone erklärten Region strapazieren die Begrifflichkeit selbst jener, die der von Ankara proklamierten These vom Kampf gegen den kurdischen Separatismus bedenkenlos folgen. In Nordirak ist nicht der Diktator Saddam Hussein der Feind, sondern, im Verbund mit der PKK, seine kurdische Gegnerschaft. Für diese Aktionen wären die in Aussicht gestellten Kampfpanzer übrigens sehr geeignet, selbst wenn man glauben machen will, dass aus deutschen Leos nicht auf türkische Kurden geschossen werden kann. Dies ist, alles zusammen, eine Menschenrechts-Frage. Gibt es in diesem Bereich eine Arbeitsteilung? Schröder fürs Pragmatische, Fischer von Fall zu Fall für die trotzdem verabredeten Grundsätze? |