Süddeutsche Zeitung, 22.10.1999 Spielzeug für die Generäle Der deutsche Türkei-Experte Heinz Kramer hält das Panzer-Beschaffungsprogramm Ankaras für "schlichten Unfug" Von Christiane Schlötzer Im Oktober vor einem Jahr haben die türkischen Militärs gezeigt, wozu starke Panzerverbände dienen können. Sie zogen schweres Gerät an der Grenze zu Syrien zusammen, um den Druck auf Damaskus zu erhöhen, Kurdenführer Abdullah Öcalan auszuliefern. Das Wüstengelände bei Habur ist eine der wenigen türkischen Grenzregionen, wo schwere Kampfpanzer rollen können. Deshalb nennt es Heinz Kramer, der Türkei-Experte der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Ebenhausen, "schlichten Unfug, die türkische Panzerwaffe in diesem Umfang zu modernisieren, wie es von den Militärs in Ankara geplant wird". Die Rationalität des Vorhabens, 1000 Panzer zu beschaffen, wird politisch in der Türkei aber nicht diskutiert. "Das machen die Militärs unter sich aus." Wünsche des Generalstabs sind der Politik in Ankara immer noch Befehl. Reale Bedrohungen spielen dabei nicht unbedingt die zentrale Rolle, eher schon militärische Traditionen, wonach man schon immer starke Landstreitkräfte hatte. Schwächen weist die Türkei hingegen vor allem bei der Verteidigung gegen Massenvernichtungswaffen auf. Hier sei die Türkei "wirklich schlecht gerüstet", sagt Kramer und verweist auf eine latente Bedrohung durch die Nachbarn Iran, Irak und Syrien. Moderne Raketenabwehrsysteme aber sind nur in den USA zu erwerben. Doch Washington ist äußerst restriktiv mit der Verbreitung modernster Militärtechnik, auch gegenüber Nato-Partnern. Anfang des Jahres in der Türkei stationierte Patriot-Luftabwehrraketen wurden von den USA inzwischen wieder abgezogen. Kampfhubschrauber will Washington dagegen an Ankara liefern - das optimale militärische Gerät, um in den Bergregionen Kurdistans Kämpfer der Guerilla-Organisation PKK zu verfolgen. Schwere Panzer eignen sich dafür hingegen "nur sehr begrenzt", sagt Kramer. Schützenpanzer aus den Beständen der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR, im Rahmen der Nato-Ausrüstungshilfe an Ankara geliefert, werden im Kurdengebiet dagegen eingesetzt. Auch die NVA-Panzer sollen modernisiert werden. Dabei setzt Ankara auf Russland, wie überhaupt den Militärexperten auffällt, dass die Türkei beim Einkauf von Rüstungsgütern sich "rundherum umschaut". Bevorzugte Lieferanten sind seit drei Jahren die Israelis, weil sie keine politischen Bedingungen stellen. Militärexperten nehmen daher an, dass sich Ankara für das israelische Panzermodell Merkava III entscheiden könnte, während in der Bundesregierung offenbar darauf spekuliert wird, dass der amerikanische Abrams M1A2 den Zuschlag erhält. Zur türkischen Militärdoktrin gehörte bislang die Fähigkeit, "zweieinhalb" bewaffnete Konflikte zugleich bestreiten zu können - mit Griechenland im Westen und Syrien im Südosten sowie den "halben Krieg" gegen die Kurden. Was ein Ende des Kurden-Kriegs für diese Strategie bedeuten würde, ist noch offen. Militärexperten vermissen bei den Stäben in Ankara die Fähigkeit zum Umdenken. Aber auch die Nato habe es bislang versäumt, so Kramer, in ihren Gremien darüber zu diskutieren, ob die Rüstungsbeschaffung ihrer einzelnen Mitglieder "bündnisrational" sei. "Auch die Bundesregierung vermeidet es bislang, eine solche Diskussion in der Nato zu führen." Die Türkei gibt jährlich etwa vier Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungszwecke aus - mehr als jedes andere Nato-Land. Die Stärke der Streitkräfte blieb mit rund 505 000 Soldaten auch nach dem Ende des Kalten Krieges konstant, die Militärausgaben wurden seither sogar erhöht. Zu Zeiten des Kalten Krieg sollte die Türkei einen Einfall des Warschauer Pakts in die Ägäis abwehren. Während des Golfkriegs wurde die Türkei von der Nato weiter aufgerüstet. Hauptlieferant für Rüstungsgüter an Ankara sind die USA, Deutschland steht an zweiter Stelle. |