Hannoversche Allgemeine Zeitung 22.10.1999 Leitartikel Weniger ist mehr Der Leo II ist für seine Genauigkeit beim Feuern bekannt. Doch für die rot-grüne Regierung könnte der Panzer zum Rohrkrepierer werden. Denn während man in Ankara über die Entscheidung des Bundessicherheitsrates jubelt, einen Leo II "zur Probe" für ein Jahr in die Türkei zu schicken, werden in der SPD, vor allem aber bei den Grünen, die Gesichter immer länger. Der türkische Jubel dagegen verständlich: Natürlich ist die Entsendung des Probepanzers eine Vorentscheidung, dass die Bundesregierung später auch die gewünschten 1000 Panzer liefern möchte. Und aus der Sicht Ankaras ist die Leo-Lieferung nur die vorerst letzte Etappe bei der Heranführung der Türkei an die EU: So war das Land erst vor wenigen Tagen zu einem möglichen EU-Kandidaten hochgestuft worden. Die Krux mit dem Kandidatenstatus Genau hier steckt jedoch das eigentliche Problem des neuen Schmusekurses mit der Türkei. Denn die neue Nähe ist nicht etwa das Resultat demokratischer Reformen in der Türkei, - sondern die Folge westlicher Panik, das Land am Bosporus könnte sonst aus Enttäuschung von Europa wegdriften. Leider wird nun eine seltsame Begründungskette in Gang gesetzt. Wenn die Türkei von der EU also als beitrittswürdig angesehen werde, so heißt es, dann könnten doch auch die Menschenrechtsverletzungen nicht gar so schlimm sein - weil im Umkehrschluss sonst die EU schließlich gar keinen Kandidatenstatus vergeben dürfe. Und deshalb gebe es doch heute auch keinen Grund mehr, eine Panzerlieferung abzulehnen. Nun haben die Befürworter eines Panzerverkaufes ja auch andere gute Argumente: Eine etwaige Bestellung von 1000 Panzern würde viele Arbeitsplätze in Deutschland sichern. Kaufen wird die Türkei die Waffen ohnehin - wenn nicht in Deutschland, dann eben in den USA. Auch die Widersprüche in der Türkei-Politik seien nicht neu: Schließlich ist das Land seit 1952 Nato-Mitglied und damit auch formell unser Partner. Aber es ist keineswegs sicher, ob man den Türken wirklich einen Gefallen tut. Sicher kann man keinem Land vorschreiben, wofür es sein Geld ausgibt - aber dass die nicht gerade reiche Türkei die für den Panzerkauf nötigen Milliarden vernünftiger einsetzen könnte, daran gibt es kaum Zweifel. Der Türkei wird zudem immer stärker eine falsche Perspektive vorgegaukelt. In Ankara ist mittlerweile der Eindruck vorherrschend, als sei der EU-Beitritt nur noch eine Formsache und eine Frage der Zeit. Dabei weiß auch die rot-grüne Koalition ganz genau, dass es wahrscheinlich noch Jahrzehnte dauert, bis die Türkei der EU wirklich angehören wird. Diese Aussicht wird jedoch systematisch vernebelt - um so größer wird die türkische Enttäuschung zu einem späteren Zeitpunkt sein. Einen Gefallen hat sich die Bundesregierung mit der Panzerentscheidung aber auch selbst nicht getan - Industriefreundlichkeit hätte sie besser an einem anderen Punkt als ausgerechnet bei umstrittenen Rüstungsexporten demonstrieren können. Die rot-grüne Koalition ist schließlich mit dem Anspruch angetreten, nicht alles anders, aber vieles besser machen zu wollen. Und sie hat vor der Wahl die - durchaus berechtigte - Frage gestellt, ob die deutsche Industrie wirklich am Verkauf aller Waren und Waffen an alle Länder verdienen sollte. Überleben die Grünen den Türkei-Beitritt? Nun muss die Bundesregierung dem eigenen Wahlvolk neben allen anderen Problemen auch noch erklären, wieso sie modernstes Kriegsgerät an ein Land liefern möchte, dem gerade die Grünen seit Jahren und zu Recht eine überzogen brutale Politik gegenüber der kurdischen Minderheit vorgeworfen hatten. Man kann dies als neuen Pragmatismus loben - ebenso wie die im Kosovo-Krieg tatsächlich vollzogene Abkehr der Grünen vom radikalen Pazifismus. Aber man darf nicht vergessen, dass sich dann schnell die Frage nach der Existenzberechtigung der Partei stellt. Schon in den zurückliegenden Wahlen sind die Grünen dafür abgestraft worden, dass sie alte Versprechen nicht einlösen oder nicht einlösen können. Dies gilt für das Thema Atomausstieg ebenso wie jetzt für die Panzerlieferung. Der Neuzuschnitt von Parteiämtern hilft gegen die Enttäuschung der eigenen Wähler ebenso wenig wie die Selbstbeschwörung, die Koalition dürfe nicht zerbrechen. Tatsächlich fällt den Grünen die Erklärung immer schwerer, was sich mit ihrer Regierungsbeteiligung in der deutschen Politik eigentlich geändert hat. Fällt ihnen darauf keine überzeugende Antwort ein, dann könnte die Partei von der politischen Bühne verschwunden sein, wenn die Türkei eines Tages wirklich Mitglied der EU werden sollte. Andreas Rinke, Hannover |