Tagesspiegel, 22.10.99 "Die Argumente gegen den Panzer sind hergeholt" Bundeskanzler Gerhard Schröder im Gespräch mit dem Tagesspiegel über die umstrittene Lieferung in die Türkei Bundeskanzler Gerhard Schröder (55) ist seit Herbst 1998 im Amt. Macht das Regieren nach einem Jahr noch Spaß? Heik Afheldt sprach mit dem früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten über die Arbeitder rot-grünen Koalition. Was muss man denn tun, um die Regierungsarbeit besser zu verkaufen? Was wir eigentlich brauchen, ist, sich damit auseinanderzusetzen, was wir wirklich machen. Wir haben eine Berichterstattung über Rente mit 60, da ist man fassungslos. Was haben wir gemacht? Wir haben gesagt, wir können Rente mit 60 nicht aus dem Bundeshaushalt bezahlen, und es darf keine Beitragserhöhung geben. Das heißt: Die IG-Metall ist auf Riesters ursprüngliche Vorschläge, die sie mal abgelehnt hatte, eingegangen. Man kann ja gegen so ein Modell nichts haben, wenn aus den eigentlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für Lohn- und Gehaltserhöhungen etwas genommen wird, um daraus einen Tariffonds zu machen, um solche Abschläge zu finanzieren. Aber es gibt natürlich den Generationenkonflikt. Aber den kann man ja auch beschreiben. Nur zu sagen, eine allgemeine Rente mit 60 sei völliger Unsinn, das ist falsch. Man kann ja diskutieren, ob das sozusagen den Jungen zumutbar ist. Aber das ist eine Diskussion, die die Tarifparteien führen müssen. Aber macht Riester nicht Fehler? Dass es noch immer nicht das Gesamttableau gibt, wie man sich die Altersvorsorge künftig vorstellt? Die Leute haben kein Gesamtbild. Sie haben völlig Recht. Nur in der Sache selber ist der Ansatz richtig, den Tarifparteien Flexibilität einzuräumen,ihnen auch zu signalisieren, sie könnten sich darauf arrangieren. Dann gibt's das Zweite: Was auf der Arbeitgeberseite nicht gesehen worden ist: Dass, wenn man einen Tariffonds macht, der ja nur Sinn macht, wenn er etwa fünf Jahre vereinbart wird. Aber was bedeutet das für die Laufzeit von Tarifverträgen? Das heißt, zum ersten Mal gäbe es für Lohn und Gehaltstarifverträge Laufzeiten von bis zu fünf Jahren. Denn das wäre ja die logische Konsequenz. Man kann ja nicht einen Tariffonds machen und über einen solchen Fonds ein Jahr später erneut verhandeln. Das ist schon richtig. Aber hat Riester nicht auch einen zweiten Fehler gemacht, der in der Öffentlichkeit vielleicht gar nicht so bemerkt worden ist: Die Tarifautonomie war ihm immer heilig. Jetzt setzt sich Riester hin und sagt: Wir haben uns geeinigt über die Rente mit 60 und den Tariffonds. Wo bleibt denn da eigentlich die Tarifautonomie? Er hat den Eindruck erweckt, als ob das eine Regierungsentscheidung wäre. Das ist unbegreiflich. Da das offensichtlich nur Ihnen aufgefallen ist, bleibt mir nur zu sagen, dieser Eindruck war jedenfalls nicht beabsichtigt. Macht eigentlich das Regieren noch Spaß, jeden Morgen gleich drei Vorwürfe auf einmal? Jetzt gibt es einen neuen Streit um die Waffenlieferung an die Türkei. Zur Panzerentscheidung muss ich Ihnen wirklich sagen, ich halte das, was dagegen spricht, für hergeholt. Denn die Türkei ist Nato-Mitglied. Sie hat den Leo I, also das Vorgängermodell, geliefert bekommen von Deutschland. Sie ist Teil des Logistik-Verbundes für Leo I. Wir wollen der Türkei eine Perspektive für Europa geben und jetzt höre ich, die Lieferung eines Musterpanzers konterkariere diese Politik. Falsch. Wenn wir das nicht gemacht hätten, hätten die Türken gesagt, was ist denn jetzt mit denen los. Ist das denn auch wieder ein Beispiel für ein Vermittlungsproblem. In dieser Frage gibt es Leute, die rational mit dem Thema umgehen und Leute, denen aus dem Bauch heraus jegliche Waffenlieferung eigentlich zuwider ist. Weil sie mit guten Gründen sagen, Waffen würden für den Krieg genutzt, für Gewalt. Das ist so eine Haltung, die ich nachvollziehen kann, aber die man als Regierungschef gegenüber einem Bündnispartner wie der Nato und potenziellen Kandidaten der EU kaum einnehmen kann. |