sz, 23.10.99Koalition streitet über Rüstungsexporte in die Türkei
Grüne drohen mit Kampagne gegen Panzerlieferung Geschäftsführer Bütikofer erinnert an Unterschriftenaktion der Union / Kanzler Schröder: Die Einwände sind hergeholt Von Christoph Schwennicke Berlin - Der Streit in der Koalition um die Lieferung eines Test-Panzers an die Türkei hat sich am Freitag weiter verschärft. Während die Bündnisgrünen zum ersten Mal in der gemeinsamen Regierungszeit mit einer außerparlamentarischen Aktion gedroht haben, wiesen die Spitzen der SPD jede Kritik zurück. Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel, die Einwände gegen die Entscheidung des Bundessicherheitsrates seien "hergeholt". Nach Schröders Ansicht muss berücksichtigt werden, dass die Türkei ein Nato-Mitglied ist, als solches habe sie auch schon den Vorgänger des nun zu Testzwecken überlassenen Leopard II von Deutschland geliefert bekommen. Es sei falsch zu sagen, die Lieferung des Testpanzers konterkariere die Politik, der Türkei eine Perspektive für Europa zu geben. Schröder räumte ein, er könne nachvollziehen, wenn Leute "aus dem Bauch heraus" gegen Waffenlieferungen seien, weil sie mit guten Gründen sagten, Waffen würden für den Krieg genutzt. Jedoch könne er als Regierungschef eine solche Haltung gegenüber einem Nato-Partner und Kandiaten für die EU nicht einnehmen. Das geplante Rüstungsgeschäft mit der Türkei im Jahr 2001 umfasst mindestens 1000 Leopard II im Wert von mehreren Millarden Mark Unterdessen machen die Grünen den Testpanzer zunehmend zum Zankobjekt in der Koalition. In der Berliner tageszeitung erklärte der Bundesgeschäftsführer der Grünen Reinhard Bütikofer, die Auseinandersetzung fange erst an. Bütikofer wies auf die Wirksamkeit der Unterschriftenkampagne der Union gegen die doppelte Staatsbürgerschaft hin. "Wir werden versuchen, gesellschaftliche Gruppen und Instanzen zu mobilisieren", sagte Bütikofer und deutete eine ähnliche Aktion gegen eine Lieferung von Panzern an die Türkei an. Der sicherheitspolitische Experte der Bündnisgrünen Winfried Nachtwei sprach sich für ein breites Protestbündnis aus. "So wird es nicht weitergehen", sagte auch Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch. In der Koalitionsrunde am kommenden Montag werde er den Bundeskanzler daran erinnern, "dass in einem Bündnis jeder Partner die Luft zum Atmen braucht". Nach Schlauchs Worten gibt es zwar keine Koalitionskrise, "wohl aber eine ernsthafte Belastung". Dagegen hat sich Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) gegen die "Übertreibungen" der Grünen gewandt. "Wir können nicht auf der einen Seite Außenminister Joschka Fischer folgen, der die Türkei in den Kreis der EU-Beitrittskandidaten aufnehmen möchte, und auf der anderen Seite die Vertragstreue und Bündnisfähigkeit der Türkei in Zweifel ziehen", sagte Scharping der Berliner Morgenpost. Deutschland sei der Türkei traditionell freundschaftlich verbunden, was auch manche Kritik einschieße. Eine laizistische, nicht islamisch-fundamentalistische Türkei sei "von überragendem europäischen und deutschen Interesse." Als "etwas unverständlich" bezeichnete SPD-Fraktionschef Peter Struck die ablehnende Haltung der Grünen. Im Inforadio Berlin sagte Struck, bei der Entscheidung des Bundessicherheitsrates sei es lediglich um Zustimmung zur Beteiligung eines deutschen Unternehmens am Ausschreibungsverfahren gegangen. Er forderte den Koalitionspartner auf, die Richtlinien zu den Waffenexporten am Montag im Koalitionsausschuss einvernehmlich zu verabschieden. Die Türkei hat, wie unterdessen bekannt wurde, auch ein Testmodell des Kampfhubschraubers Tiger zu Vorführzwecken erhalten. Der Hubschrauber, eine deutsch-französische Gemeinschaftsproduktion, sei unter französischer Hoheit in die Türkei gebracht worden, verlautete aus dem Bundesverteidigungsministerium. In Berliner Regierungskreisen hieß es, der Bundessicherheitsrat habe über diese Lieferung nicht entschieden. |