Die Welt, 25.10.99 Die Koalition sitzt in der Panzerfalle Im Streit um die Lieferung des Leopard-II an die Türkei kracht es bei Rot-Grün. Heute abend treffen Fischer und Schröder aufeinander Von Hans-Jürgen Leersch Kanzler Gerhard Schröder will es wieder einmal wissen. Der Machtmensch aus Hannover mit seinem untrüglichen Gespür für Nadelstiche will dem kleinen Koalitionspartner zeigen, wer Herr im rot-grünen Hause ist. Dass ausgerechnet wegen der Lieferung eines Testpanzers an die Türkei das Bündnis von SPD und Grünen zerbrechen könnte, glauben weder Befürworter Schröder noch Gegner Joschka Fischer. Dem Kanzler geht es mehr darum, den - seiner Ansicht nach zu beliebten - Außenminister als Verlierer bloßzustellen. Die Grünen haben Schröders Taktik anscheinend noch immer nicht begriffen: Was Fischer jetzt erlebt, hat Umweltminister Jürgen Trittin in der Atompolitik schon lange hinter sich. Trittin konnte planen oder erklären, was er wollte - Schröder machte stets mit Genuss einen Strich durch die grüne Rechnung. Grüne Gegenbewegungen, etwa der Versuch, der SPD eine zu sehr auf Straßenbau orientierte Verkehrspolitik vorzuwerfen, dürften die Schwelle des Konflikts nicht erreichen. Der Grünen-Abgeordnete Matthias Berninger hatte hier einen Verstoß gegen den Koalitionsvertrag ausgemacht, weil die Schiene zu wenig gefördert werde. So reduziert sich die Koalitionsrunde heute Abend im Kanzleramt auf das Panzergeschäft mit der Türkei und die spannende Frage, wie Fischer wieder aus der Türkei-Falle herauskommt. Die Falle hat sich der Außenminister selbst gestellt: Sein massives Eintreten für die Türkei als EU-Beitrittskandidat passt nicht zur gleichzeitigen Verweigerung der Zusammenarbeit im Rüstungsbereich. Fischer rudert bereits ziemlich hilflos: "Wir wollen die Türkei mittels Verbesserungen an die Europäische Union heranführen. Dazu wird man schwerlich Panzerlieferungen rechnen können", so der Außenminister im "Tagesspiegel". Solche Differenzierungen pflegen Sicherheitsexperten wie der frühere Generalinspekteur Dieter Wellershoff "albern" zu nennen. Für ihn ist es eine "pure Selbstverständlichkeit", dass die meisten Staaten Kampfpanzer haben, auch wenn in der Debatte vergessen werde, dass deren Zahl bereits kräftig reduziert wurde. So erlaubt der KSZE-Vertrag der Türkei höchstens 3120 Kampfpanzer. 1000 davon, zumeist veraltete und nicht mehr mit Ersatzteilen versorgbare Exemplare des amerikanischen Typs M 48, will die Türkei ersetzen - am liebsten durch in Lizenz selbst gebaute deutsche Kampfpanzer des Typs Leopard II, ein im Unterhalt günstigeres und in der Nato weit verbreitetes Waffensystem. Doch Waffen sind nicht alles, im Verhältnis zur Türkei spielt auch und gerade die Menschenrechtssituation und die Lage der kurdischen Minderheit eine Rolle. Für Wellershoff steht fest, dass "der türkischen Armee pausenlos Unrecht getan wird. Wo wäre die Türkei heute", fragt Wellershoff, "wenn die Armee nicht der Gralshüter Atatürks wäre? Dann wäre sie ein finsterer Orientstaat und eher mit dem Irak vergleichbar als mit irgendeinem europäischen Staat. Die türkischen Militärs sind in der Wolle gefärbte Westler", sagt Wellershoff. Keinesfalls seien die Militärs die Menschenrechtsverletzer, wie sie von interessierten Kreisen gerne dargestellt würden. Auch Wellershoff legt den Finger in Fischers Wunde: Man wolle die Türkei in die EU aufnehmen, die laut Vertrag von Amsterdam eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gestalten wolle, traue dem Land aber nicht zu, mit Panzern umgehen zu können. Schröder hat diese Argumente parat. Darüber hinaus hat der "Panzerkanzler" noch mehr Munition: Der Türkei-Auftrag würde bei den deutschen Produzenten Krauss-Maffei und Wegmann zehn Jahre lang 6000 Arbeitsplätze sichern. Damit könnte die deutsche Rüstungsindustrie, die von der eigenen Regierung kaum noch Aufträge bekommt, ihre Forschungsarbeit fortsetzen. Deshalb unterstützt Verteidigungsminister Rudolf Scharping die Lieferung des Testpanzers. Eine Zerreißprobe für Rot-Grün sieht er nicht. Und Fischer hat schon oft Unabhängigkeit von eigenen Positionen bewiesen, um heute Abend einem weichen Kompromiss zuzustimmen. Denn besonders sensibel war die rot-grüne Koalition im internationalen Waffenhandel zuletzt ohnehin nicht. Krisenregionen wie Indien, Indonesien und Südkorea wurde mit Millionenbürgschaften zu neuem Militärgerät aus deutscher Produktion verholfen. Die Türkei bekommt zum Beispiel vier U-Boote, Indonesien Schiffspropeller und Marineausrüstung. Der CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann amüsiert sich über die rot-grünen Rüstungsgeschäfte: "Bei jedem einzelnen dieser Aufträge hätten SPD und Grüne früher einen Untersuchungsausschuss eingesetzt." |