Die Welt, 25.10.99 Schröder im Panzerstreit unter wachsendem Druck Verhärtete Fronten vor Koalitionsrunde - Grüne beschwören Regierungskrise - Auch in der SPD nimmt der Unmut zu Berlin - Der Koalitionsstreit um die Lieferung eines deutschen Testpanzers an die Türkei hat sich am Wochenende noch weiter zugespitzt. Abgeordnete der Grünen warnten den auch in der eigenen Partei unter zunehmenden Druck geratenen Kanzler Gerhard Schröder vor einer Gefährdung der Koalition. Schröder will jedoch in einer Koalitionsrunde am heutigen Abend im Berliner Kanzleramt nicht nachgeben, sondern besteht darauf, dass die Türkei einen Kampfpanzer vom Typ Leopard II erhält. Auf Grund der Erfahrungen mit dem Testexemplar will die Türkei entscheiden, ob sie eine Lizenz für den Bau von 1000 Panzern dieses Typs erwerben will. Außenminister Joschka Fischer (Grüne) bekräftigte seine Ablehnung. Auch Umweltminister Jürgen Trittin erinnerte daran, dass nach dem Koalitionsvertrag die Frage der Menschenrechte bei Rüstungslieferungen berücksichtigt werden müsse. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, geht davon aus, dass die Lieferung des Testpanzers nicht mehr zu verhindern ist. Aber die Grünen wollten "alles tun", um bei anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei das Folgegeschäft zu verhindern. Frau Beer begrüßte den Vorschlag von SPD-Fraktionschef Peter Struck, der die Bildung einer Arbeitsgruppe zur Neuformulierung der Rüstungsexportrichtlinien gefordert hatte. Die Grünen verlangen die Rückkehr zum Einstimmigkeitsprinzip im für Rüstungsexporte zuständigen Bundessicherheitsrat. In dem Gremium war Fischer bei der Abstimmung über den Testpanzer von der SPD-Seite überstimmt worden. Aber auch in der SPD geriet Schröder unter Druck. Die schleswig-holsteinische SPD machte massiv Front gegen die Lieferung des Testpanzers. Sowohl der SPD-Landesvorsitzende Franz Thönnes wie sein Vorgänger Willi Piecyk erklärten, der SPD-Landesverband werde alle erforderlichen Schritte unternehmen, um die Entscheidung des Bundessicherheitsrats rückgängig zu machen. Die Lieferung des Panzers in ein Land, das elementarste Menschenrechte missachte, sei für die Nord-SPD völlig inakzeptabel. Unionspolitiker sprachen sich unterdessen für die Lieferung aus. Der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe verlangte, der Regierung in Ankara auf dem Weg in die Europäische Union Vertrauen entgegenzubringen. Der hessische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Roland Koch hält den Panzerstreit für einen "Beitrag aus Absurdistan". Es führe nicht zu mehr Menschenrechten, wenn Frankreich statt Deutschland Panzer an die Türkei liefere. "Aber es führt zu weniger Arbeit in Deutschland", sagte Koch zur WELT. af/hl/D. G./p. s. |