fr, 25.10.99 "Tanz mit dem Tod" Der Mord an einem prominenten Kemalisten erregt die Türkei / Beerdigung wird zum Massenprotest gegen den Islamismus Von Gerd Höhler (Athen) Im Mai hatte ihn die islamistische Tageszeitung Akit als "kemalistischen Tyrannen" verunglimpft und sein Foto veröffentlicht, verunziert durch ein schwarzes Kreuz. Es blieb nicht bei verbalen Attacken. Vergangene Woche fiel Ahmet Taner Kislali vor seiner Wohnung in Ankara einem Sprengstoffanschlag zum Opfer. Die Bombe war in einer Einkaufstüte versteckt, die die Täter auf der Kühlerhaube von Kislalis Auto abgestellt hatten. Der angesehene Politologe und Kolumnist der linksliberalen Tageszeitung Cumhuriyet starb beim Transport ins Krankenhaus. Seine Mörder werden in islamistischen Untergrundorganisationen vermutet. Unermüdlich hatte Kislali in seinen Kolumnen vor den Gefahren des politischen Islam gewarnt, erst vergangene Woche warf er den Regierenden in einem Kommentar vor, zuviel Nachsicht mit den religiösen Fanatikern zu üben. Das Begräbnis des 60-Jährigen, der Ende der siebziger Jahre türkischer Kulturminister war, wurde am Samstag zu einer beeindruckenden Massendemonstration gegen den religiösen Extremismus. Mehr als hunderttausend Menschen folgten dem Sarg, der vom Parlamentsgebäude in Ankara zur Universität und von dort zur Kocatepe-Moschee getragen wurde. An der Trauerfeier nahmen auch mehrere tausend Soldaten in Uniform teil - auf Befehl des Generalstabs, der damit einmal mehr unterstrich, wie ernst er die islamistische Gefahr nimmt. "Wenn nötig tausend Jahre" werde man den Kampf gegen die moslemischen Eiferer fortsetzen, schwor erst kürzlich Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu. Doch gekämpft wird bisher vor allem an Nebenkriegsschauplätzen. Die religiös orientierte Tugend-Partei ist vom Verbot bedroht, ihre Abgeordnete Merve Kavakci wird von der Justiz verfolgt, nur weil sie im Parlament ein Kopftuch trug. Auch an den Universitäten, in Ämtern und Behörden wird Kopftuchträgerinnen nachgestellt, als drohe der Republik Gefahr durch ein Stück Stoff. Die Untergrund-Islamisten aber verstanden es bisher, sich dem Zugriff der Polizei zu entziehen. Als gefährlichste Gruppe gilt die "Islamische Front der Kämpfer des Großen Orients" (IBDA-C), die sich zu dem Mord an Kislali bekannt haben soll. Sie wird auch verdächtigt, an früheren Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. 1990 erschoß ein islamistisches Killerkommando den angesehenen Istanbuler Verfassungsrechtler Muammer Aksoy. Wenig später wurde Cetin Emec, Leitartikler von Hürriyet, auf ähnliche Weise ermordet. Und wiederum einige Monate später töteten moslemische Fanatiker mittels einer Paketbombe die Istanbuler Rechtsprofessorin Bahriye Ücok. 1993 schließlich wurde der prominente Journalist Ugur Mumcu auf ganz ähnliche Weise ermordet wie jetzt Kislali. Alle Opfer waren engagierte Gegner des religiösen Fanatismus. Die Suche nach den Tätern blieb erfolglos. Spekuliert wurde im Verlauf der Fahndung aber immer wieder über mögliche Verbindungen der türkischen Moslem-Extremisten zu iranischen Stellen. Wie Kislali schrieb auch Mumcu für die Cumhuriyet, die älteste türkische Tageszeitung, gegründet 1924 als Zentralorgan der Kemalisten. Die "Feinde der Republik" hätten das Blatt ins Visier genommen, so sein Kommentar am Freitag und weiter: "Für die Cumhuriyet zu schreiben bedeutet, mit dem Tod zu tanzen." Den Tätern werde es "nicht gelingen, sich der türkischen Justiz zu entziehen", versprach Staatspräsident Süleyman Demirel, der nach dem Mord die Redaktion besuchte. Die Öffentlichkeit will nun Fahndungsergebnisse sehen. "Diesen Fall zu lösen, müsste Ihnen eine Ehrensache sein", ermahnte das Massenblatt Sabah Innenminister Sadettin Tantan, einen früheren Polizeichef. Staatspräsident Demirel und Premier Bülent Ecevit wurden bei Kislalis Beisetzung mit Buhrufen empfangen. Generalstabschef Kivrikuglu dagegen brandeten Beifall und Sprechchöre entgegen: "Die Armee und die Nation, Hand in Hand auf dem Pfad Atatürks!" Das Islamistenblatt Akit, das Kislali so hart attackiert hatte, verbreitete nun seine eigene Theorie. Bei dem Anschlag handele es sich um eine Verschwörung: Kislali sei ermordet worden, "um Moslems in Verdacht zu bringen". |