jw, 26.10.99 PDS klagt gegen NATO-Strategie Rechte des Bundestages übergangen. Verfassungsgericht angerufen. Debatte über Sicherheitspolitik gefordert Die PDS-Fraktion im Bundestag hat gegen die Zustimmung der Bundesregierung zur neuen NATO-Strategie beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Organklage eingereicht. Evelyn Kenzler, die rechtspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion, erklärte am Montag bei einer Pressekonferenz in Berlin, daß die verfassungsmäßigen Rechte des Bundestags verletzt worden seien, als die Bundesregierung der neuen strategischen Ausrichtung des Bündnisses zugestimmt habe. Da es sich bei der neuen Strategie um eine Änderung des NATO-Vertrages handle, müsse dieser vom Parlament ratifiziert werden. Die PDS-Politikerin fügte hinzu, die im April beschlossene neue Strategie sei ein vorläufiger Endpunkt in der Neuorientierung des Bündnisses nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Die PDS bleibe die »konsequente Antikriegspartei« und versuche mit der Klage, künftige Out-Of-Area-Einsätze der NATO mit Bundeswehrbeteiligung zu verhindern. Der Hamburger Wissenschaftler Norman Paech fügte hinzu, daß die NATO im Kosovo und in Osttimor weit über ihre ursprüngliche Aufgabe der territorialen Selbstverteidigung hinausgehe. Das Konzept sehe außerdem auch Einsätze ohne UN-Mandat vor und räume nach wie vor die Option eines atomaren Erstschlags ein. Damit verstoße der Militärpakt sowohl gegen die deutsche Verfassung als auch gegen Völkerrecht. Paech betonte, daß der Internationale Gerichtshof in einem Gutachten 1996 die Erstschlagsoption als völkerrechtswidrig eingestuft habe. Er verwies auch darauf, daß die territoriale Erweiterung der Allianz 1999 um Tschechien, Polen und Ungarn in allen Bündnisländern ratifiziert wurde. Dementsprechend müsse das auch bei einer Erweiterung des Aufgabenbereichs geschehen. Rechtlich sei das Übergehen des Bundestags ein »schwerwiegender Fehler«. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der PDS im Bundestag, Wolfgang Gehrcke, plädierte für ein »Herunterfahren der NATO und Herauffahren von friedlichen Alternativen« wie der OSZE. Er äußerte sich gegenüber jW zuversichtlich, daß die Klage in irgendeiner Form Erfolg haben werde. Wenn die PDS recht bekäme, müsse die Bundesregierung eine Gesetzesvorlage zur NATO-Strategie in den Bundestag einbringen. Das Verfassungsgericht könne die Klage nur ablehnen, wenn es die Unterschrift des Bundeskanzlers unter dem NATO-Papier für unverbindlich erklären würde. Dann könnte sich die Regierung jedoch nicht mehr auf ihre Bündnisverpflichtung berufen. Wie auch immer die Entscheidung ausfiele, so Gehrcke, würde sie dazu beitragen, »die NATO zu hinterfragen« und alternative Konzepte geltend zu machen. Die PDS beabsichtige, zusammen mit anderen Linksparteien in europäischen NATO-Ländern eine Grundsatzdebatte über die künftige Sicherheitspolitik anzustoßen. Sie starte somit ein »Pilotprojekt«. Gehrcke erklärte zudem ferner, diese Debatte fände auch innerhalb der PDS statt, wo die Außenpolitik künftig eine größere Rolle spielen solle. Ben Vanovitch |