Die Welt, 26.10.99 Der Leopard: Wunderwaffe aus Wunderland Was es politisch kostet, wenn Deutschland nicht liefert - Eine Analyse Von Michael Stürmer Der Panzer vom Typ Leopard II ist noch besser als sein Ruf. Er ist die Wunderwaffe aus Wunderland. Ohne einen einzigen Schuss abzufeuern, bringt er die rot-grüne Regierungskoalition ins Wanken. Ohne sich von der Stelle zu bewegen, tut er der Nato-Brücke zur Türkei schweren Schaden an. Was in Berlin neuerdings von manchen vergessen wird: 40 Jahre lang waren die Türken, Menschenrechte hin und Kurdenfrage her, gut genug, die Nato-Südostflanke gegen die Stoßarmeen der weiland Sowjetunion zu halten. Jetzt aber haben die Türken ihre Schuldigkeit getan - oder so denkt man in Berlin. Einem Nato-Partner Waffenlieferungen zu verweigern, die er auf Grund seiner eigenen Lagebeurteilung braucht, wirft die Frage auf nach Sinn und Tragfähigkeit von Bündnissen und dazu, was denn werden soll, wenn Deutschland einmal wieder des Beistands bedarf. Vom sicheren Port lässt sich's gemächlich raten, auch den Türken. Die moderne Türkei geht zurück auf den Ersten Weltkrieg und seine Hinterlassenschaft, auf den Kampf der Armee gegen das Friedensdiktat von 1919 und die griechische Invasion, vor allem aber auf die Revolution von oben, die Atatürk ins Werk setzte. Die Geburtsstunde des Staates war mit einem schweren Geburtstrauma verbunden, und die Demokratie war eine Funktion, nicht mehr und nicht weniger, der Modernisierungsrolle der Generale. Ohne diese wäre die Türkei wahrscheinlich nicht mehr als eine weitere Variante über das Thema angemaßter Macht und Diktatur im größeren Mittleren Osten. Seitdem aber hat sich die türkische Führungsschicht, ungeachtet der strengen Aufsicht der Generale, in eine immer schwierigere innere Lage manövriert, wo ihre Machtbehauptung mit der Westorientierung des Landes funktional verbunden bleibt. Von außen kann man warnen oder zuraten, und Deutschland hat wegen der hier lebenden Türken ein starkes Interesse an rechtsstaatlich-demokratischen Verhältnissen. Aber Patentlösungen, verbunden mit Verweigerungen, helfen da nicht. Die Türkei, der Blick auf die Landkarte hilft der Erinnerung, liegt an den Übergängen von Europa nach Asien. Mit Bosporus und Dardanellen kontrolliert sie die enge, fast kanalartige Durchfahrt vom Schwarzen Meer zum Mittelmeer, die seit dem Kampf der Griechen gegen Ilion umstritten ist. Aber mit dieser geostrategischen Schlüsselrolle ist seit jeher auch ein Fluch verbunden, und er hat in hunderten von Schlachten seinen Ausdruck gefunden. Nur wer glaubt, es sei nun das Ende der Geschichte und Friede auf Erden, und im Übrigen könne, wem die Brücke nach Asien gehört, den Europäern gleichgültig sein, kann die Panzer, und vorerst geht es nur um ein erstes Prüfexemplar, verweigern. In der neuen Geopolitik nach dem Kalten Krieg ist die Türkei der wichtigste Faktor im größeren Nahen Osten geworden, von den Amerikanern, die doch in Menschenrechtsfragen nicht zum Scherzen neigen, durch dick und dünn unterstützt. Washington drängt auch auf baldigen Eintritt der Türken in die EU. Es zeichnet sich da ein weiteres Konfliktfeld mit den Amerikanern ab. Die teuren, hochmodernen Panzer braucht der türkische Generalstab nicht, um sie im unwegsamen Hochgebirge Ostanatoliens zu verlieren in Guerillakämpfen. Sie sollen das Rückgrat der Bodenverteidigung bilden für die frühen Jahrzehnte des nächsten Jahrhunderts. Wer die Nachbarschaft kennt, weiß, warum die türkischen Militärs das Beste suchen, was moderne Rüstungstechnik bereithält. Die Ironie liegt daran, dass auch das amerikanische Konkurrenzmodell in erheblichem Maß deutsche Technik enthält, vom Rohr bis zur Turbine, und damit die Seelenschmerzen nur verschiebt. Oder würde man gegebenenfalls die Amerikaner am Export hindern? Dann sollte man sich beizeiten nach Ersatz für die Nato umschauen. Den Balkan kennen die Türken noch gut aus osmanischer Vergangenheit, ebenso das große russische Reich. Dass der Kaukasus nicht Hort der Stabilität ist, ist bekannt. Iran und Irak sind Nachbarn, die die Türken sich nicht ausgesucht haben. Wer in dieser Weltgegend etwas von der Zukunft wissen will, tut gut daran, Geschichte und Geographie zu konsultieren. |