Stuttgarter Zeitung, 27.10.99 Panzerschlacht im Kanzleramt: Fast drei Stunden haben die Spitzen der rot-grünen Koalition über Rüstungsexporte - speziell an die Türkei - gestritten. Am Ende der Panzerschlacht im Kanzleramt hat es - wieder einmal - einen Kompromiss gegeben, mit dem der Koalitionsfriede vorerst gerettet scheint. Von Karl-Ludwig Günsche, Berlin Irgendwie erinnern Peter Struck und Kerstin Müller an ein Ehepaar beim Sühnetermin vor dem Scheidungsrichter: Der SPD-Fraktionsvorsitzende und seine Kollegin von den Grünen schauen am liebsten aneinander vorbei. Nur wenn Kerstin Müller bei der mitternächtlichen Pressekonferenz im Kanzleramt auf Fragen von Journalisten antwortet, blickt Struck sie mit der ihm zuweilen eigenen leicht gelangweilten Arroganz an. Die Aufgabe der beiden Fraktionschefs ist nicht einfach: Sie müssen die Zerstrittenheit der beiden Partner so verkaufen, dass der kleinste gemeinsame Nenner, den sie erreicht haben, schon wie ein Erfolg aussieht. Die Drohkulisse vor dem Koalitionsgespräch war einmalig: Unverhüllt hatten die Grünen damit gedroht, den Druck der Straße gegen die Entscheidung der von ihnen mitgetragenen Regierung zu mobilisieren, einen Testpanzer an die Türkei zu liefern. Die Vorsitzende der Grünen, Gunda Röstel, hatte ihren Urlaub in Südfrankreich unterbrochen, weil sie in Berlin dabei sein wollte, wenn es um das Schicksal der Koalition ging. Die SPD hatte schon im Vorfeld ihre domestizierenden Signale ausgeschickt. Die Entscheidung über den Testpanzer sei unumstößlich, ließ sich Bundeskanzler Gerhard Schröder Rückendeckung vom Präsidium seiner Partei geben. Gezielt streuten sozialdemokratische Büchsenspanner, dass der grüne Parteiheld Joschka Fischer selbst dazu beigetragen habe, die Rüstungsexport-Richtlinien zu verwässern. ¸¸Das Vorspiel war verunglückt'', räumte ein Spitzengrüner selbstkritisch ein. Wie zwei feindliche Bataillone marschierten Rote und Grüne am Montagabend im Kanzleramt ein. Das Thema Verkehrspolitik, das ursprünglich einmal auf der Tagesordnung gestanden hatte, wurde kurzerhand abgeräumt. Thema Nummer eins war das Panzergeschäft. Über den Ablauf gehen die Schilderungen - wie so oft bei angeblich vertraulichen Sitzungen - auseinander. Jede Seite versucht, ihre Klientel möglichst gut wegkommen zu lassen. Nachprüfbar ist das alles nicht. Gerhard Schröder sei lautstark geworden, Joschka Fischer habe sich zurückgehalten, sagen die einen. Fischer habe mit gleicher Münze zurückgegeben, sagen die anderen. Übereinstimmend sind Berichte, dass der Bundeskanzler sich mit starken Worten über die Art und Weise ausgelassen habe, wie die Grünen im Vorfeld mit Drohungen gearbeitet und Stimmung gemacht hätten. ¸¸Er hat gebrüllt'', sagen die einen. ¸¸Er war erregt'', meinen die anderen. Schließlich könne er es sich als Kanzler nicht bieten lassen, dass der Koalitionspartner mit Demonstrationen gegen die eigene Regierung drohe. Das habe er auch unmissverständlich klargemacht. Die Grünen räumten ein, dass dies ein Fehler gewesen sei. Sozialdemokratische Teilnehmer der Runde hätten immer darauf gewartet, dass Joschka Fischer sich seinerseits darüber beschwere, dass er mit der Stimme des Kanzlers im Bundessicherheitsrat überstimmt worden sei. ¸¸Aber da kam nichts.'' Auch grüne Politiker zeigten sich gestern erstaunt darüber. ¸¸Der Außenminister hat sich sehr bedeckt gehalten'', kritisierten sie. ¸¸Genscher hätte sich das nie gefallen lassen.'' Im Koalitionsvertrag sei ausdrücklich vereinbart worden, dass kein Partner den anderen in ¸¸Fragen von grundlegender Bedeutung'' überstimmen wolle. Für die Grünen sei der Panzerexport existenziell. ¸¸Dort, wo das Herzblut sitzt, darf man in einer Koalition nicht überstimmt werden'', klagte die grüne Verteidigungsexpertin Angelika Beer noch gestern. Fischer selbst hielt sich bedeckt. ¸¸Die Pressekonferenz war umfassend'', sagte er nur. Der Kompromiss, den Rot und Grün schließlich erreichten, war programmiert: Die Grünen durften als Erfolg verkaufen, dass die Rüstungsexport-Richtlinien unter Einbeziehung von Fachleuten beider Parteien überarbeitet werden. Kerstin Müller machte deutlich, wie groß der Einigungszwang war: ¸¸Wir wollten auf eine gemeinsame Linie zurückfinden.'' ¸¸Die Grünen sind wieder einmal weggeknickt'', sagte ein Sozialdemokrat - allerdings ohne jede Häme, vielmehr mit einem Schuss Besorgnis - und schob die bange Frage nach: ¸¸Wie lange die das nur noch aushalten?'' Ein anderer gab zu: ¸¸So ernst war es noch nie.'' Noch nie sei die Stimmung so aggressiv, ja fast feindselig gewesen. Vorerst ist der Koalitionsfriede notdürftig gekittet. Die Grünen haben die Lieferung des Testpanzers an die Türkei geschluckt. Aber sie bezweifeln, dass Schröder wirklich gegen einen Panzerverkauf entscheiden könnte, wenn die Türkei in zwei Jahren tatsächlich 1000 Leopard-Panzer kaufen will. ¸¸Der tickt ganz einfach: Arbeitsplätze sind für ihn Arbeitsplätze'', sagt ein Grüner resigniert. Aber noch andere Entscheidungen stehen an: Auch die Saudis wollen - wieder einmal - Leopard-Panzer kaufen. Außerdem soll die Türkei auch noch mit dem Kauf von Transportpanzern des Typs ¸¸Fuchs'' liebäugeln. Als der Pulverdampf sich am Montag um Mitternacht verzogen hatte, sagte Struck im Brustton der Überzeugung und mit dem treuen Augenaufschlag, den er so oft anwendet, wenn ihm eigentlich unbehaglich ist: ¸¸Alle von Ihnen, die sich Hoffnungen gemacht haben, nun gebe es eine handfeste Koalitionskrise, muss ich enttäuschen.'' Ein Kanzleramtsmitarbeiter kommentierte dies mit der knappen Bemerkung: ¸¸Der nächste Anlass kommt bestimmt.'' |