jw, 28.10.99 Hauptsache abschieben - egal wie Das rot-grün regierte Hamburg ist Vorreiter für inhumane Flüchtlingspolitik Während das Bundeskabinett gerade das einjährige Bestehen der rot-grünen Koalition feiert, haben die Hamburger Bürger bereits seit zwei Jahren das Vergnügen mit dieser Regierungsfarbe. Ausdrücklich wurde die damalige Koalitionsvereinbarung als Test für die »Realitätstauglichkeit« der Grünen in Hinblick auf eine mögliche Koalition auf Bundesebene angepriesen. Heute kann man konstatieren, daß die Grünen diesen Test mit Bravour bestanden haben, auch und gerade auf ihrem ureigensten Gebiet: der Flüchtlingspolitik. Die Schikane- und Abschiebepraxis in Hamburg hat in Hinblick auf ihre Inhumanität inzwischen eine Spitzenposition in Deutschland inne. Ein Beispiel: Wie erst am Anfang dieser Woche bekannt wurde, hatte Davoud S., ein zwanzigjähriger Kurde aus dem Iran, am 16. Oktober im Abschiebeknast Glasmoor versucht, sich das Leben zu nehmen. Als 18jähriger war Davoud S. wegen politischer Verfolgung aus dem Iran geflohen. Nach der endgültigen Ablehnung seines Asylantrages wurde er umgehend inhaftiert. »Er hatte große Angst, in den Iran abgeschoben zu werden«, äußert sich der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche Nordelbiens, Bernd Eichhorn, gegenüber junge Welt. Schon drei Wochen zuvor hatte Davoud S. angedroht, sich aus Angst vor der Rückkehr in den Iran umzubringen. Er wurde daraufhin in das Hamburger Vollzugskrankenhaus eingeliefert, mit Medikamenten vollgepumpt und wieder zurück nach Glasmoor gebracht. Jetzt befindet sich der Jugendliche wieder im Vollzugskrankenhaus. »Ich werde versuchen zu erreichen, daß die Abschiebung ausgesetzt wird. Suizidgefahr müßte als Grund dafür ja eigentlich reichen«, so Bernd Eichhorn. Wenn er sich da mal nicht irrt. Gründe für die Aussetzung einer Abschiebung gibt es in der Hansestadt nämlich so gut wie keine. Grundlage für die Asylpolitik ist der Koalitionsvertrag der rot-grünen Landesregierung. Dort heißt es: »Menschen, die in anderen Ländern politisch oder aufgrund ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, und Kriegsflüchtlingen gewährt die Bundesrepublik Schutz. Dieser Schutz ist auf den Zeitraum des Konfliktfalles beschränkt. Bei Fortfall der Schutzbedürftigkeit wird die Rückführung derjenigen Flüchtlinge, die nicht freiwillig zurückkehren, durchgesetzt.« Weiter heißt es, eine »Rückkehr in Sicherheit und unter Wahrung der Menschenrechte« sei zu gewährleisten. Blanker Zynismus, angesichts der Tatsache, daß viele der Migranten diesen »humanitären Einsatz« des rot-grünen Hamburger Senats gar nicht, oder nach Foltertorturen durch Polizei und Justiz in ihren Herkunftsländern, nur schwerverletzt überleben. Ein Geheimpapier der Innenbehörde, in dem Senator Hartmut Wrocklage wirkungsvolle Vorschläge unterbreitet, wie die Abschiebeknäste schneller leer werden, machte Anfang April in Hamburg Schlagzeilen. Künftig soll nach Wrocklages Vorstellungen abgeschoben werden, auch wenn die Betroffenen eine Duldung aufgrund eines ärztlichen Attestes bekommen haben. Die Atteste würden fast immer von demselben Arzt ausgestellt und seien häufig gleichen Inhalts, so Wrocklage. Starker Tobak angesicht der Tatsache, daß es sich bei diesem Arzt um den international renommierten Neurologen Klaus Weber handelt, der als Spezialist auf dem Gebiet der Behandlung von Folteropfern gilt und deshalb von der Hamburger Ärztekammer mit dieser Aufgabe betraut wurde. Die offiziell als »Diskussionspapier« bezeichnete neue Richtlinie wird in Hamburg längst umgesetzt. Immer wieder passiert es, daß Migranten mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden von zu Hause abgeholt, in die Ausländerbehörde und anschließend per Flugzeuge in ihre Herkunftsländer gebracht werden, und das trotz gültiger Duldung. Denn die ist in der Hansestadt das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist. Seit einiger Zeit erhalten nämlich Migranten einen Stempel in ihre Ausweispapiere mit dem Aufdruck: »Die Duldung erlischt unabhängig vom Datum des Ablaufs der Geltungsdauer, wenn die für die Erteilung maßgeblichen Gründe entfallen.« Birgit Gärtner, Hamburg |