taz, 29.10.1999 Seite 5 Vorbereitet in die Panzerfalle Rot-grüne Krisenmanager wähnten sich darauf vorbereitet, dass der Testpanzer für die Türkei ein heikler Fall für die Regierungskoalition werden könnte Von Patrik Schwarz Berlin (taz) - Wie konnte ihnen das nur passieren? Die Woche geht ihrem Ende zu, und noch immer grübeln Grün und Rot, wie sie unversehens in ihre größte Krise der letzten Monate gerutscht sind. Seit der "Nacht der Panzerschlacht", wie die Süddeutsche Zeitung die mitternächtliche Kompromisssuche im Koalitionsausschuss nannte, ist der Pulverdampf etwas verflogen. Umso deutlicher tritt die Ratlosigkeit in beiden Lagern zutage, dass der Konflikt um den Export eines Testpanzers an die Türkei soweit eskaliert ist. Manche Beobachter sehen die grüne Glaubwürdigkeit in Scherben, andere halten das Vertrauen zwischen Gerhard Schröder und Joschka Fischer für zerrüttet. Wie konnte es soweit kommen? Es war jedenfalls keine Falle. An Spekulationen hatte es nicht gemangelt. Wollte da der Groß-kanzler Schröder seinem Groß-minister Fischer eine Grube graben, um den gar zu hoch Gestiegenen aufs rechte Maß zu reduzieren? Im Fischer-Lager ist man überzeugt, wenn irgendjemand ein Interesse daran haben muss, den grünen Spitzenmann vor Schaden zu bewahren, dann Gerhard Schröder. Gleich wie sehr der Sozialdemokrat vielleicht vor der Bundestagswahl auf eine große Koalition gehofft hat - jetzt hängt seine Zukunft als Kanzler von den Grünen ab. Wolfgang Schäuble hat erst am Mittwoch wiederholt, bei einem Scheitern Schröders setze die CDU auf Neuwahlen. Danach würde die derzeit so populäre Union in jedem Fall den Kanzler stellen - gleich ob der Juniorpartner FDP heißt oder SPD. Ein Testpanzer tut niemandem etwas zuleide Die Krise habe sich frühzeitig abgezeichnet, beteuern Rote und Grüne. Den Verdacht der Schlamperei bei der Vorbereitung der Panzerentscheidung bestreiten darum alle Beteiligten empört. Im Kanzler- wie im Außenamt schwante den Verantwortlichen Übles. Doch beide Lager glaubten vernünftig zu handeln - die Spinner saßen auf der jeweils anderen Seite. Ein einzelner Panzer wird ja gerade noch zu verkraften sein, war offenbar das Kalkül des Kanzlers, ein Testexemplar noch dazu, das niemandem etwas zuleide tut. Um vorbeugend die grüne Seele zu beruhigen, brachte das Kanzleramt auch die Idee auf, die Türken schriftlich vorzubereiten, ein Testpanzer sei noch keine Vorentscheidung für eine spätere Lieferung von tausend Stück. Mit einem solchen Schreiben, so die Überlegung, könnte Fischer seine Anhänger überzeugen, dass die Regierung die Menschenrechtsproblematik anerkennt, im Übrigen aber die maßgebliche Entscheidung erst in eineinhalb Jahren anstehe. Eine weise Lösung, wie man im Schröder-Lager fand, und durchaus erprobt in anderen rot-grünen Krisen: ein kleiner Kompromiss heute, und der Rest wird vertagt. Was die einen als kluges Krisenmanagment gemeint hatten, empfanden die anderen als läppisch. Die Grünen standen unter dem Eindruck der Symbolkraft von 60 Tonnen Stahl. Der Kanzler sah zwischen einem Panzer zum Test und tausend Stück zum Einsatz einen materiellen Unterschied, die Grünen aber keinen moralischen. Entsprechend konsequent glaubten sie, in der Fraktion, der Regierung und Öffentlichkeit mobilisieren zu müssen. Schlicht irrational erschien ihnen die Weigerung der Schröder-Seite, den grünen Widerstand gegen das Projekt als unverhandelbar zu erkennen. Wozu hatten sie zu Beginn der Koalition vereinbart, in Grundsatzfragen dürften die Roten die Grünen nicht überstimmen? Umgekehrt reagierten die Kanzlergetreuen verständnislos. Räumten nicht auch führende Grüne ein, dass der Kanzler durchaus zum Einlenken bereit ist, wenn es für den kleinen Koalitionspartner um die Substanz geht? Warum hatten sie den Testpanzer derart zum Symbol stilisiert? Einig sind sich beide Seiten auch im Nachhinein nur in der Schadensbilanz: Vor allem das rot-grüne Bemühen um eine Integration der Türkei in die EU ist in Gefahr. Die Befürworter des Exports bangen um das mühsam erworbene Vertrauen der Türkei. Die Gegner der Schröder-Entscheidung fürchten, jetzt stehe das Werben Deutschlands für eine Annäherung der Türkei an Europa als Versuch dar, nur einen Absatzmarkt für deutsche Waffen sichern zu wollen. |