jw, 29.10.99 Gewehr bei Fuß Anmerkungen zur jüngsten Sammlung der »Gesellschaft für bedrohte Völker«. Von Hubert Brieden Endlich, nach mehr als einem Vierteljahr, ist es auch bis in die Zentrale der »Gesellschaft für bedrohte Völker« in Göttingen gedrungen: Im Kosovo werden Roma und Aschkali von nationalistischen Albanern verfolgt, massakriert und zur Flucht gezwungen. Eine Tatsache, über die die internationale Presse bereits seit Juni, als es zu Übergriffen auf Roma in albanischen Flüchtlingslagern kam, regelmäßig berichtete. Damals prognostizierten Beobachter der albanischen Politszene, darunter das amerikanische Verteidigungsministerium, einen Massenexodus von nichtalbanischen Minderheiten nach dem Einmarsch der UN-Truppen. Die albanischen Freischärler der UCK hatten nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie an einem multiethnischen Kosovo nicht interessiert sind. Die Entwicklung war also alles andere als überraschend. Aber die »zweitgrößte Menschenrechtsorganisation in Mitteleuropa« »nach Amnesty International«, wie sich die Gesellschaft für bedrohte Völker auf Werbezetteln gern bezeichnet, schwieg. Auch das wiederum war so erstaunlich nicht: Hatte sich die Göttinger Vereinigung doch jahrelang vehement für die militärische Intervention der NATO, einschließlich deutscher Truppen, in Jugoslawien eingesetzt, ist somit also auch für die Resultate der herbeigesehnten Intervention mit verantwortlich: die Vertreibung »unerwünschter« Minderheiten. Besonders das betretene Schweigen im Fall der verjagten Roma drohte für die Menschenrechtskrieger aus Göttingen peinlich zu werden. Dies aus zwei Gründen: Zum einen waren Roma zusammen mit Juden, Serben und anderen Nationalitäten bereits Opfer deutscher »Volksgruppenpolitik« im Zweiten Weltkrieg. Sie wurden von der Wehrmacht und ihren Hilfstruppen an Ort und Stelle erschossen oder in die Vernichtungslager deportiert. Die NATO-Aggression gegen Jugoslawien rechtfertigten die Kriegsbefürworter mit der Notwendigkeit, ein neues Auschwitz zu verhindern. Daß jetzt <Bild: Abbildung> ausgerechnet Menschen derselben Nationalitäten, deren Angehörige in Auschwitz ermordet wurden, als Resultat der herbeigesehnten NATO-Intervention wieder verfolgt wurden, machte keinen guten Eindruck. (Foto: Die UCK sichert das »Heimatrecht« - Februar 1999, bei Pristina) Zum anderen hatte die Göttinger Gesellschaft sich jahrelang für die Rechte von Sinti und Roma in Deutschland engagiert, und jetzt werden Roma ausgerechnet von den langjährigen albanischen Freunden verfolgt. Eine peinliche Entwicklung, die sich irgendwann auch einmal negativ auf das Spendenaufkommen auswirken könnte. Mit der gerade gestarteten Sammelkampagne für verfolgte Roma und Aschkali im Kosovo wird jetzt alles getan, um weitere Verluste an Glaubwürdigkeit zu verhindern. Im zugehörigen Waschzettel geht es dann auch vor allem um die Heldentaten und Erlebnisse des Vereinsvorsitzenden Tilman Zülch, der bei seiner Reise in das Kosovo zwar kein neues Auschwitz fand, dafür aber eines Tages irgendwo in Pristina heldenhaft einen verprügelten Roma vor dem albanischen Mob rettete. Das ändert zwar auch nichts daran, daß das Kosovo als Folge der eigenen Politik inzwischen weitgehend »zigeunerfrei« ist - aber wichtig sind der persönliche Einsatz und der gute Eindruck in der Öffentlichkeit. Aber die Menschenrechte gelten noch längst nicht für alle. Die Diskriminierung von Serben wird nur nebenbei erwähnt. Ihre Vertreibung scheint Tilman Zülch bei seinem Besuch nicht aufgefallen zu sein. In einem farbigen Werbeblatt wird denn auch über die UN-Truppen gemault: »In den meisten Roma- und Aschkali-Dörfern wurden keine Soldaten stationiert, während serbische Kirchen von KFOR-Panzern geschützt werden«. Ein »Heimatrecht«, so die Werbetexter weiter, müsse für Roma und Aschkali durchgesetzt werden, und wenn nicht - drohen sie mit der schlimmsten Horrorvorstellung ihrer gut betuchten Klientel -, werden diese »gezwungen sein, als Flüchtlinge nach Westeuropa zu kommen«. Das »Heimatrecht« wird als Mittel zur Abwehr von Flüchtlingen benutzt. Aber genau wie die Menschenrechte soll auch das »Heimatrecht« nicht für alle gelten. Vertriebene Serben, Montenegriner, nichtnationalistische Albaner u. a. »störende« Minderheiten sollen anscheinend nicht in das Kosovo zurückkehren dürfen. Jedenfalls werden sie nirgends erwähnt. Wer sich bei einem Begriff wie »Heimatrecht« an die Rhetorik von Vertriebenenverbänden erinnert fühlt, liegt so falsch nicht. Tilman Zülch legt Wert auf die Feststellung, in Deutsch-Libau im Sudetenland geboren zu sein und wurde ins Beratungsgremium des Bundes der Vertriebenen zum Aufbau eines »Zentrums gegen Vertreibungen« in Berlin berufen. Aus gutem Grund nennt sich seine Gruppe »Gesellschaft für bedrohte Völker«, nicht etwa »Gesellschaft für bedrohte Menschenrechte«. Sie kooperierte nicht nur mit Vertriebenenverbänden, sondern auch mit der »Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen« (FUEV), an deren Gründung im Jahre 1954 ehemalige faschistische »Volksgruppen«ideologen maßgeblich beteiligt waren. Im 1970 erschienenen »Handbuch der europäischen Volksgruppen«, herausgegeben vom Generalsekretär der FUEV, wird die Existenz verschiedener »Volksgruppen« von unterschiedlicher »Rassereinheit« und »Blutsgruppenzugehörigkeit« behauptet. 1995 wurde bekannt, daß der ehemalige Naziverwalter des Ghettos Kolomea in Polen, dem die Mitverantwortung für den Tod von 30 000 Juden vorgeworfen wird, im Beirat der Gesellschaft für bedrohte Völker arbeitete. So wundert es auch nicht mehr, daß die Organisation eifrig bemüht ist, die faschistischen Verbrechen zu relativieren. Da ist beispielsweise vom »Holocaust« an nationalen Minderheiten in der Türkei die Rede oder von der »Vernichtung« Zehntausender Deutscher in »Konzentrationslagern der sowjetischen Besatzungszone«. Analogieschlüsse zu faschistischen Vernichtungslagern sind unvermeidlich und anscheinend gewünscht. Und der Krieg gegen Jugoslawien galt bekanntlich - wie wir auch von der Bundesregierung wissen - der Verhinderung eines neuen Auschwitz. Entsorgung der Geschichte auf der einen, zunehmende Militarisierung der deutschen Außenpolitik auf der anderen Seite - für beides läßt sich die Gesellschaft für bedrohte Völker mit ihrer spezifischen »Volksgruppen«- und Menschenrechtspolitik bestens gebrauchen. Sie setzte sich für die NATO-Intervention in Jugoslawien ein und begrüßt jetzt die Entsendung eines Sanitätskorps nach Osttimor. Deutsche Waffenlieferungen an die albanische UCK, jahrzehntelange deutsch-indonesische Rüstungskooperation? Kein Thema im aktuellen Bettelbrief des Vorsitzenden Zülch. Statt dessen wird bereits der nächste Einsatzort deutscher Menschenrechtsmilitaristen abgesteckt: »Durch den neuen russischen Krieg gegen Tschetschenien sind bereits 15 Prozent der Bevölkerung zu Flüchtlingen geworden. Hunderte wurden ermordet. Jetzt versuchen wir täglich, Parteien und Bundesregierung zum Handeln zu bewegen. Wir fordern, daß der Weltwährungsfonds den im Juli 1999 bewilligten 4,5-Milliarden-US-Dollar-Kredit nicht an Rußland auszahlt, solange die russische Regierung für monatlich 100 Millionen US-Dollar Krieg in Tschetschenien führt.« Henry Kissinger, ehemaliger US-Außenminister, warnte vor einiger Zeit: »Sollte sich die Doktrin der universellen Intervention verbreiten und sollten konkurrierende Wahrheiten erneut in einen offenen Wettstreit treten, droht uns eine Welt, in der die Tugend Amok läuft.« Romahilfe der Gesellschaft für bedrohte Völker: Die Amokläufer kümmern sich um einige ihrer Opfer. Wenn das kein netter Zug ist! |