nzz, 29.10.99 Antiislamistische Kampagne in der Türkei Zeitungsbüros durchsucht - Warnung des Sicherheitsrates Die Istanbuler Polizei hat am Donnerstag die Büros einer proislamistischen Zeitung durchsucht. Damit geht die Kampagne gegen die Islamisten weiter, die mit der Ermordung eines laizistischen Journalisten vor einer Woche an Härte gewonnen hat. Der Nationale Sicherheitsrat und der Generalstaatsanwalt fordern eine Verschärfung der Gesetze. paz. Istanbul, 28. Oktober In dem sich zuspitzenden Streit zwischen Islamisten und Laizisten in der Türkei hat die Polizei am Donnerstag die Istanbuler Büros der proislamistischen Zeitung «Akit» durchsucht. «Akit» ist nach der Ermordung des laizistischen Journalisten der Zeitung «Cumhuriyet», Ahmed Taner Kislali, vor einer Woche unter Beschuss geraten, denn sie hatte vor einiger Zeit ein Porträt Kislalis, das mit zwei schwarzen Balken durchgestrichen war, publiziert. Kislali seinerseits hatte in seinen Kommentaren «Akit» wiederholt schwer angegriffen. Der Mord wird von offizieller Seite radikalen Islamisten zugeschoben, obwohl sich niemand zum Anschlag bekannt hat und keine konkreten Hinweise vorliegen. Doch ist dieser latent immer vorhandene Konflikt in der türkischen Gesellschaft wieder voll ausgebrochen. Dies zeigt sich auch darin, dass vor der Marmara-Universität in Istanbul erneut Studentinnen festgenommen worden sind, die dagegen protestiert hatten, dass sie wegen ihrer islamistischen Kopfbedeckung - einem eng gebundenen Kopftuch - von der Universität ausgeschlossen wurden. Ruf nach schärferen Gesetzen Die Ereignisse in Istanbul erscheinen nach der Sitzung des von der Militärführung dominierten Nationalen Sicherheitsrates vom Mittwoch besonders brisant. Der Rat, in dem unter dem Vorsitz des Staatspräsidenten regelmässig die Spitzen der Militärs und der Regierung zusammenkommen, verabschiedete eine scharfe Warnung an islamistische Kreise und verlangt strengere Gesetze gegen den politischen Islam. Ministerpräsident Ecevit versprach, dass diesen Forderungen im Parlament Priorität zugemessen werde. Nach Presseberichten soll sich der Rat auch mit 300 Privatschulen beschäftigt haben, die verdächtigt werden, islamistisches Gedankengut zu verbreiten. Vier Schulen seien bereits geschlossen worden. Des weiteren fordert der Sicherheitsrat, dass die Regierung alles daran setzt, die Mörder Kislalis zu finden. Beim Begräbnis am Samstag hatte die Armee mit einer bisher einmaligen Präsenz unterstrichen, dass sie den Kampf zur Erhaltung des laizistischen kemalistischen Systems mit aller Bestimmtheit weiterführen will. Vor dem Sicherheitsrat hatte am Dienstag bereits ein anderer prominenter Vertreter der Laizisten, der Generalstaatsanwalt Vural Savas, sein Gewicht im Kampf für schärfere Gesetze gegen den Terror in die Waagschale geworfen. Dazu gehören für ihn so undemokratische Massnahmen wie die Medienzensur, das Abhören von Telefongesprächen und das Öffnen von privaten Briefen. Auch will er «Terroristen» in Militärgefängnissen einsperren. Nach der Ansicht von Savas helfen Politiker, die sich für Reformen im Bereich der Menschenrechte im Sinne der Europäischen Union einsetzen, radikal-islamistischen Gruppierungen. Der Generalstaatsanwalt attackierte auch Parlamentarier und Menschenrechtler, die die Aufhebung des Gesetzesartikels 312 fordern, auf dessen Grundlage Dutzende von islamistischen und kurdischen Aktivisten wegen «Aufwiegelung zu Hass» verurteilt worden sind. Savas hatte vor zwei Jahren das Verbot der islamistischen Wohlfahrtspartei erreicht und versucht gegenwärtig, auch die daraufhin gegründete Tugendpartei zu verbieten. Gespaltene Judikative Die Reaktionen der angegriffenen Politiker liessen nicht lange auf sich warten. Der Führer der Tugendpartei, Recai Kutan, sagte, dass Savas die Spannungen zwischen religiösen und laizistischen Kreisen anheize und zurücktreten solle. Der Staat müsse aufhören, in jedem gläubigen Bürger eine Gefahr zu sehen, meinte Mesut Yilmaz, der Vorsitzende der in der Regierungskoalition vertretenen Mutterlandpartei. Die islamistische Zeitung «Yeni Safak» beschuldigte Savas, die Ermordung Kislalis für eigene Ziele auszunutzen, denn der Generalstaatsanwalt hatte sich selber als potentielles Opfer präsentiert. In Anspielung auf Savas' Namen (er bedeutet auf Türkisch Krieg), sprach eine Zeitung von dessen Kriegs-Mentalität. Wie die englischsprachige «Turkish Daily News» anmerkte, zieht sich der Graben zwischen Hardlinern, die auch mit autoritären Methoden gegen systemkritische Stimmen vorgehen wollen, und demokratisch Gesinnten durch die obersten Chargen der türkischen Judikative. Anfang September hatte Sami Selcuk, der Vorsitzende des obersten Berufungsgerichts - jenes Gerichts also, an dem Savas als Ankläger tätig ist -, das politische System des Landes als undemokratisch bezeichnet und umfassende Reformen gefordert. Die Linie Selcuks hat nach Ansicht der «Turkish Daily News» grösseren Rückhalt in der Bevölkerung als diejenige von Savas; dennoch sei es nicht sicher, so meint die Zeitung, dass sich diese auch durchsetzen werde. |