taz, 17.11.1999 Seite 11 Die moderne Seidenstraße wird gebaut Ein Energiekorridor soll dem Westen die Gas- und Ölreserven Zentralasiens erschließen. Ein Vertrag über den Bau einer Pipeline zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan ist unterschriftsreif Aus Istanbul Jürgen Gottschlich Als US-Präsident Bill Clinton am Montag seinen offiziellen Besuch in der Türkei begann, konnte ihm Präsident Süleyman Demirel gleich eine bedeutende Erfolgsmeldung überbringen. Eines der wichtigsten Anliegen der amerikanischen Politik in der Region, die Einrichtung eines Energiekorridors von Zentralasien über Aserbaidschan in die Türkei, wird endlich einen entscheidenden Schritt vorankommen. Nach jahrelangen zähen Verhandlungen soll in dieser Woche, am Rande des OSZE-Gipfels in Istanbul, der Vertrag über den Bau einer Öl- und Gaspipeline von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku an den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan unterschrieben werden. Die Partner in diesem mehrere Milliarden US-Dollar umfassenden Deal sind neben der Türkei und Aserbaidschan Georgien, über dessen Territorium die Pipeline führen soll, und darüber hinaus Kasachstan und Turkmenistan, die Öl und Gas in die Pipeline einspeisen wollen. Die Verträge mit den Regierungen wird das Konsortium Azerbaijan International Operation Company (AIOC) schließen, in dem unter Führung des BP-Konzerns mehrere US-amerikanische und norwegische Konzerne mit dem staatlichen aserbaidschanischen Ölkonzern Socar und der russischen Lukoil zusammen geschlossen sind. Der Pate des gesamten Vertragswerks sind die USA, die in den letzten sechs bis sieben Jahren mit Hilfe einer Reihe von Sonderbotschaftern das Projekt immer wieder vorangetrieben haben. Für die Clinton-Administration ist Baku - Ceyhan eines der wichtigsten strategischen Projekte überhaupt. Der hauptsächliche Sinn dieses so genannten Energiekorridors - der modernen Seidenstraße, wie das Projekt auch genannt wird - ist, die enormen fossilen Energievorräte des Kaspischen Bekkens und Zentralasiens für den Westen zu erschließen, ohne dabei auf die Kooperation der Russen oder Iraner angewiesen zu sein. Aus Sicht Moskaus nimmt sich das Vorhaben noch wesentlich drastischer aus. Washington, so wird gemutmaßt, will Russland aus seinem angestammten Interessengebiet vollständig hinausdrängen und seinerseits die Energievorräte der Region monopolisieren. Tatsächlich geht es sowohl für die USA als auch für Russland um mehr als bloße Beteiligungen an perspektivisch lukrativen Ölgeschäften - beide Seiten streben die langfristige Kontrolle Zentralasiens an. Aus diesem Grund hat Washington vehement auf den Bau der Pipeline von Baku nach Ceyhan gedrängt, obwohl die beteiligten Ölkonzerne nach wie vor behaupten, diese Linie sei die mit Abstand teuerste Variante, um das kaspische Öl auf den Weltmarkt zu bringen. Und nicht zuletzt deshalb zerbombt Russland zum zweiten Mal Tschetschenien - die russischen Pipelines führen von Baku aus über Dagestan durch Tschetschenien ans Schwarze Meer nach Noworossijsk. Die Abspaltung Tschetscheniens wäre für Russland gleichbedeutend mit dem Verlust seiner Ölrouten. Der Widerstand der Ölkonzerne war einer der Hauptgründe dafür, dass es so lange dauerte, bis der Vertrag über Baku - Ceyhan zustande kam. Die Ölförderung am Kaspischen Meer ist wesentlich teurer als in Saudi-Arabien und rechnet sich deshalb erst, wenn der Ölpreis mindestens 18 Dollar pro Barrel beträgt. Außerdem gab es erhebliche Differenzen über die Kosten der Pipeline. Während die türkische Regierung, gestützt auf ein Gutachten der deutschen Pipeline Engineering, einer Tochter der Essener Ruhrgas AG, von 2,7 Milliarden Dollar ausgeht, spricht die AIOC von vier Milliarden Dollar Baukosten. Da außerdem einige Probebohrungen im letzten Jahr nicht die erhofften Ergebnisse erbracht hatten, waren die Ölkonzerne erst einmal mit der kleinen Lösung, einer Pipeline von Baku an den georgischen Schwarzmeerhafen Supsa, zufrieden. Doch die US-Regierung, gemeinsam mit der türkischen Regierung und dem aserischen Alleinherrscher Haidar Alijew, drängten unablässig auf den großen geostrategischen Deal. Mittlerweile sind die Konzerne durch die beteiligten Staaten von den Kosten so weit entlastet worden, dass der Bau für sie offenbar kein Problem mehr ist. Die Türkei verzichtet beispielsweise zehn Jahre lang auf alle Einnahmen aus der Pipeline, um die Baukosten zu refinanzieren. In der letzten Woche gab es noch einmal eine Krise, weil Georgiens Schewardnadse auf höheren Transitgebühren bestand, als die anderen ihm zugestehen wollten. Doch mit Hilfe einer intensiven Telefondiplomatie zwischen Ankara, Baku, Washington und Tiflis wurde auch diese Klippe noch umschifft. Jetzt schauen alle Beteiligten voller Sorge nach Tschetschenien, nicht so sehr wegen der dem russischen Bombenhagel ausgesetzten tschetschenischen Bevölkerung, sondern weil sie befürchten, die Russen könnten nach einem militärischen Sieg im Nordkaukasus versucht sein, auch den Transkaukasus mit militärischen Mitteln wieder unter Kontrolle zu bekommen. Nach dieser Lesart wäre nach Tschetschenien Georgien wieder an der Reihe, und mit Hilfe armenischer Nationalisten könnte Russland versucht sein, den Konflikt um Berg-Karabach wieder so anzuheizen, dass an einen Pipeline-Bau nicht mehr zu denken wäre. Denn entscheidende Voraussetzungen für die langfristige Ausbeutung der Energieressourcen am Kaspischen Meer und in Zentralasien sind Stabilität und möglichst friedliche Verhältnisse im Kaukasus. |