Die Presse (Wien), 17.11.99 An Uncle Sams Hand in das gelobte Land Die Türkei betrachtet die USA als ihren wichtigsten Verbündeten. Von unserem Mitarbeiter JAN KEETMAN ISTANBUL. Mit vor Zuversicht strahlendem Gesicht trat US-Präsident Bill Clinton gemeinsam mit dem türkischen Staatsoberhaupt Süleyman Demirel in Ankara vor die Presse und ließ einen Schwall guter Worte über die Türkei regnen. Die türkischen Medien waren begeistert, und die Börse setzte trotz des Erdbebens vom Freitagabend zu einem neuen Höhenflug an. Clinton ist Profi in Sachen Medienauftritten und sein bisher längster Auslandsbesuch als Präsident ist perfekt vorbereitet. Seine Versprechungen kosten auch nichts, denn weder bemüht sich die Türkei um die Aufnahme unter die US-Bundesstaaten, noch muß er der Türkei politische Konzessionen machen. Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille, denn hinter dem Lob für die Türkei steckt auch die zunehmende Bedeutung des Landes für die US-Politik. Wichtig ist die Türkei für die USA sowohl aus geographischen als auch aus kulturellen Überlegungen. Geographisch liegt die Türkei wie ein Scharnier zwischen Europa und Asien und bietet den USA Zugang zu strategisch wichtigen Regionen. Am deutlichsten ist das in Bezug auf Zentralasien. Die USA würden gerne die Öl- und Gasreserven der Region über die Türkei abpumpen und so ihren ökonomischen und politischen Einfluß in einem Gebiet stärken, das sonst unter die Kontrolle der starken Regionalmächte, Rußland, Iran und China, fallen würde. Mit der für Donnerstag am Rande des OSZE-Gipfel in Istanbul vorgesehenen Unterzeichnung eines Vertrages über den Bau einer Pipeline vom Kaspischen Meer über Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan sind die USA ihrem Ziel ein gutes Stück näher gekommen. Türkische Hilfe gegen Irak Noch um einiges wichtiger für Washington ist die Region um den Persischen Golf. Hier beginnt ein zwar etwas verdrängtes, aber sehr lästiges Problem der US-Politik gleich an der türkischen Grenze: der Irak. Ohne die Hilfe Ankaras ist die gegenwärtige Irak-Politik der USA nicht denkbar. Andererseits steht die Türkei ihrem Verbündeten in diesem Fall nicht ohne ein gewisses Unbehagen zur Seite. Denn schließlich könnte als Ergebnis aller amerikanischen Anstrengungen eine Art Bundesstaat Irak herauskommen, in dem ein kurdischer Teilstaat ziemlich viel Unabhängigkeit genießt. Genau das möchte man auf keinen Fall vor der Haustüre haben. Doch schluckt man in Ankara die Angst vor solchen Visionen einstweilen runter und genießt dafür die Aussicht, wichtiger Verbündeter der Weltmacht zu sein. Denn so hat Ankara bereits einige Pluspunkte gesammelt. Da ist nicht nur der lang ersehnte Fortschritt in der Pipeline-Frage. Auch der Öcalan-Coup wäre ohne den Druck Washingtons auf Italien, Griechenland, Kenia und andere Länder nicht möglich gewesen. In der Zypernfrage hat Clinton die Hoffnung bestärkt, daß der 25jährige Konflikt über die geteilte Mittelmeerinsel einer Lösung zugeführt wird. Einem weiteren großen Ziel der türkischen Politik, der Aufnahme in die EU hofft man ebenfalls mit der Unterstützung Washingtons näher zu kommen. Von Ankara aus verkündete Clinton: "Europa ist kein von Bergen und Flüssen begrenztes Stück Erde, sondern eine Idee, in der verschiedene Kulturen und Religionen Platz haben. Diese Idee sind die Menschenrechte und die Demokratie." Der Beweis dieser These wäre die Aufnahme der Türkei. Zugleich wäre damit die Verträglichkeit von Islam und westlicher Kultur bewiesen - und davon erhofft sich Washington eine Stärkung seines Einflusses in der islamischen Welt. Ankaras Bringschuld So weit, so gut, nur daß die Türkei sich zur Realisierung all dieser Ideen auch etwas bewegen müßte. Ihr vom Staat gegängelter Islam nur bedingt vorzeigbar. Und auch Clinton kann das Land nicht einfach nach Europa zaubern, wenn es keine Fortschritte bei den Menschenrechten, im Verhältnis zu Griechenland und in der Zypernfrage gibt. Bei den Menschenrechten sieht Clinton, wie viele Politiker in den vergangenen beiden Jahrzehnten vor ihm, "Fortschritte". Mit Griechenland gibt es eine gewisse Annäherung. Und daß der Präsident Nordzyperns, Rauf Denktasch, während des Clinton-Besuches indirekten Gesprächen mit den Inselgriechen zugestimmt, ist kein Zufall. Wo bleiben die Europäer und der OSZE-Gipfel? Sie sind für Ankara schon auch wichtig, doch das eigentliche Vehikel der türkischen Außenpolitik und der Grund für eine gewisse Aufwertung Ankaras, ist das Verhältnis zu Washington. |