sz, 18.11.99

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Gipfel der Beliebigkeiten

Die OSZE ruft 50 Staatschefs nach Istanbul - doch keiner traut der Organisation wirklich etwas zu

Von Peter Münch

Es ist das letzte weltpolitische Großereignis dieses Jahrhunderts. In Istanbul treffen sich mehr als 50 Staats- und Regierungschefs zum Gipfel der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Alle sind sie da, vom mächtigen Bill Clinton bis zum kranken Boris Jelzin. Was sie dort tun werden? Sie werden, wie es bei solchen sich häufenden Anlässen ihre Art ist, ihrem Willen Ausdruck verleihen, die Welt sicherer und besser zu machen. Mit der ganzen Macht ihrer Ämter pressen sie diese Willensbekundung dann in eine Abschluss-Erklärung, eine Europäische Sicherheitscharta und in ein Abrüstungsabkommen. Natürlich darf dabei eine Würdigung der herausragenden Rolle nicht fehlen, welche die OSZE in der politischen Landschaft des nächsten Jahrhunderts einnehmen soll. Doch gerade dieser Gipfel wird wieder belegen, wie weit diese OSZE stets hinter ihren Ansprüchen und den in sie gesetzten Hoffnungen herhinkt.

Zweifellos verfügt die Organisation über ein beeindruckendes Potential: 54 Mitgliedsstaaten vom hohen Norden Europas bis nach Zentralasien; Russland und die USA sitzen hier im viel beschworenen "gemeinsamen Boot"; der Osten und der Westen sind zusammengespannt. Das Fundament der OSZE bildet die erfolgreiche europäische Entspannungs- und Abrüstungspolitik der siebziger Jahre. Als nach dem Ende des Kalten Krieges die legendäre "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) in die feste Organisationsform der OSZE gegossen wurde, war dies als Signal gedacht. Europa sollte fortan die Probleme im "gemeinsamen Haus" intern regeln.

Soweit zum gewaltigen Potential, und nun zur Praxis der gewaltigen Fehlschläge. Wenn es irgendwo brannte in Europa, ist auch die OSZE stets zum Löschen angetreten. Und es brannte oft in diesem Jahrzehnt, vor allem auf dem Balkan und im Gebiet der untergegangenen Sowjetunion. Die Organisation verhandelte in Tschetschenien, war präsent in Georgien, schrieb Wahlen aus in Bosnien und zog schließlich aus zur Befriedung des Kosovo. Von bleibenden Erfolgen ist dort nirgends etwas zu sehen.

Vor allem die Kosovo-Mission, die als vorläufiger Höhepunkt und zugleich als Feuerprobe für künftige Aufgaben gedacht war, geriet zum Desaster: 2000 Beobachter sollte die OSZE im Oktober 1998 zur Friedenssicherung ins Krisengebiet schicken. Es gelang ihr nicht einmal, genügend Leute zusammenzutrommeln, und die, die da waren, schienen voll ausgelastet mit der Buchhaltung über serbische Gräueltaten. Von diesem Fehlschlag dürfte sich die Organisation so schnell nicht erholen.

Die Kosovo-Mission steht exemplarisch dafür, dass niemand wirklich auf die OSZE baut, wenn an der europäischen Sicherheitsarchitektur gewerkelt wird. Als es ernst wurde auf dem Amselfeld, da verabschiedete sich die OSZE durch den Hinterausgang. Es traten die Akteure auf den Plan, die heute wirklich Weltpolitik machen. Erst schickte die Nato ihre Bombenflugzeuge in den Krieg. Und dann wurde die Friedenslösung von einem Gremium betrieben, dass sich durch nichts legitimiert als die Macht des Geldes: Die G 8, der Zusammenschluss der großen Industriestaaten plus Russland, übernahmen diese Aufgabe, die in der politischen Theorie eigentlich den Vereinten Nationen oder ihrer kleinen europäischen Schwester OSZE zugedacht ist.

Die faktische Macht- und Bedeutungslosigkeit der OSZE wird sich beim Istanbuler Gipfel in der alles beherrschenden Tschetschenien-Frage zeigen. Der Mitgliedstaat Russland verstößt mit seinem Staatsterror im Kaukasus eindeutig gegen Geist und Buchstaben der OSZE-Regeln. Präsident Jelzin wird dafür gescholten werden. Doch im Entwurf für die Abschlusserklärung, die im Konsens verabschiedet werden muss, wird das Top-Thema im Punkt 23 abgehandelt. Praktische Auswirkungen darf niemand erwarten. Aber man hat sich ausgetauscht, hat sich wieder einmal gesehen. Bis zum nächsten Gipfel dann - an einem anderen Ort, in einem anderen Jahrhundert, aber mit ähnlichen Problemen.