jungle world, 17.11.99 Abschieben für die kleine Koalition Asyl-Debatte zweiter Teil: Pünktlich zur Innenministerkonferenz setzt Innenminister Schily beim Ausländerrecht auf eine große Koalition. Die Grünen schauen zu. von markus bickel Man kennt das ja inzwischen. Immer dann, wenn die rot-grüne Regierung im ersten Jahr ihrer Amtszeit einen Beschluss fasste, den sie ihrem Koalitionsvertrag nach eigentlich gar nicht hätte fassen dürfen, meldete sich irgendwo im Lande eine grüne Vorstandssprecherin oder ein so genannter Parteilinker zu Wort, die oder der mit dem Ausstieg aus dieser Koalition drohte. Von der grünen Seele war dann stets die Rede, von den Wurzeln der Partei in der Umwelt- und der Friedensbewegung oder ihrer Glaubwürdigkeit in Sachen Menschenrechte. Spätestens zwei Wochen nach dem großen inhaltlichen Streit am Kabinettstisch wollten die verteidigungspolitischen oder die Vorstandssprecherinnen von einer Regierungskrise, einem Koalitionskrach oder gar einem Bruch derselben nichts mehr wissen. Ein Kompromiss sei erzielt worden, hieß es dann immer - und dass die SPD die Belange des kleinen Koalitionspartners künftig stärker berücksichtigen würde. So konnte die Partei dem Krieg gegen Jugoslawien zustimmen, ohne dass ihr dabei ihr anti-militaristischer Grundkonsens abhanden gekommen wäre. Und auch, um beim Wesentlichen zu bleiben, der Verzicht auf den vor Regierungsantritt versprochenen Bruch mit der Tradition des ius sanguinis im deutschen Staatsbürgerrecht verursachte keine bleibende "Glaubwürdigkeitslücke" (Vorstandssprecherin Gunda Röstel). Mit einem Ausstieg aus der Koalition jedenfalls wollte nach Einführung der Doppelten Staatsbürgerschaft light kein grünes Kabinettsmitglied drohen. Nach einem Jahr Mitregieren scheint den Ökopaxen nur noch ein Ausstieg wirklich wichtig: der aus der Atomenergie - irgendwann im ersten Drittel des nächsten Jahrhunderts. Um das der grünen Basis zu beteuern, meldete sich Anfang letzter Woche Antje Radcke zu Wort - die westdeutsche der beiden seit Aufhebung des parteiinternen Rechts-Links-Streits nach Zonenproporz ausgewählten Vorstandssprecherinnen: Wenn die Regierung bis zum Jahresende den Atomausstieg nicht definitiv beschließe, so Radcke, bedeute dies das Ende der Berliner Koalition. Eine Meldung wie viele, eigentlich nicht der Rede wert. Weshalb es sie dennoch zu zitieren lohnt, liegt am Zeitpunkt, zu dem Radcke sich äußerte: Innenminister Otto Schily (SPD) hatte gerade in der Zeit seine Aussage vom Herbst letzten Jahres wiederholt, wonach "die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung" in die Bundesrepublik überschritten seien. Doch damit nicht genug: Seine Absage an das Einwanderungsland Deutschland verband er ein Jahr nach dem Regierungsantritt mit dem Abgesang auf das deutsche Asyl-Recht; damit, "dass nicht jede Wohltat, die wir einem Menschen zuwenden, einklagbar sein muss". Sechs Jahre, nachdem CDU, FDP und SPD den Asyl-Artikel 16 des Grundgesetzes bis zur Unkenntlichkeit geändert hatten - unter Protest der Grünen -, entfacht Schily nun unter rot-grüner Ägide "eine neue Asyldebatte" (Frankfurter Rundschau). Doch was macht die Vorsitzende des kleinen Koalitionspartners? Sie droht mit dem Ausstieg aus der Koalition - falls der Ausstieg aus der Atomenergie misslingt. So sind sie, die Grünen. Da knüpft der Innenminister asyl- und ausländerpolitisch nicht nur an die Forderungen seines CDU-Vorgänger Manfred Kanther, sondern wiederholt wortwörtlich den rassistischen Jargon des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) aus der Asyl-Debatte 1993 - und doch finden die Grünen wieder die rettende Formel, in der Regierung zu bleiben. Oder ein paar beschwichtigende Worte: "Die Grünen werden in dieser Flüchtlingsfrage weiter klare Worte sprechen, und wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass das Asyl-Recht nicht weiter ausgehöhlt wird", antwortete die Bundestags-Fraktionschefin Kerstin Müller brav auf Schilys Frontalangriff gegen die Reste des deutschen Asyl-Rechts. Den verbliebenen Wählerinnen und Wählern stellte sie so unter Beweis, zu wieviel Prinzipientreue Grünen-Funktionäre in der Lage sind - und mit wieviel Naivität sie Regierungspolitik betreiben. Müller: "Wir erwarten, dass der Minister einlenkt." Macht er - nur in eine andere Richtung, als Müller es gerne hätte. Kurz vor der Innenministerkonferenz (IMK), an der neben Schily die Innenminister der Bundesländer teilnehmen werden, zeigt sich erneut, was die Partei in Sachen Asyl- und Ausländer-Politik zu melden hat: nichts. Schilys natürlicher Bündnispartner - das haben die Debatten über eine erneute Verschärfung des Asylbewerber-Leistungsgesetzes und die verwaltungstechnische Umsetzung des Doppelpasses bewiesen - ist die Union (Jungle World, 46/1999). Von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der seinen Posten in Wiesbaden der rassistischen Unterschriftenkampagne der CDU/CSU gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft zu verdanken hat, bis hin zu Bayerns Edmund Stoiber, der die Kampagne vor einem Jahr erst lostrat, applaudierten all die Länderchefs Schily, deren Innenminister die Entscheidungen auf der IMK treffen werden. Die innenpolitischen Weichen stehen auf Große Koalition - unter dem Zeichen von Law and Order. Und ohne, dass die Grünen darauf Einfluss hätten. So gut wie alles, mit dem die Partei über zwanzig Jahre hinweg Broschüren und Wahlprogramme bedruckte, ist nach einem Jahr Regierungszeit obsolet: Einwanderungsgesetz, Abschiebestopps, Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung und frauenspezifischer Fluchtgründe, Rückbau des bundesdeutschen Grenzregimes? Fehlanzeige. Da kann auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, die Grüne Marieluise Beck, ihren Innenminister darauf hinweisen, "dass es Änderungen im materiellen Asyl-Recht in Deutschland geben" muss. Schily nimmt es dankend zur Kenntnis. So versicherte er der um das Regierungsklima besorgten Berliner Zeitung letzte Woche, dass er ein "völlig unproblematisches Verhältnis zu den Grünen" habe. Schließlich hätten diese doch "jederzeit die Möglichkeit, mich von ihrer Position zu überzeugen: Wer die besseren Argumente hat, hat bei mir immer eine Chance." Dass Schily die Argumente der Union vorzieht, ist bekannt. Unabhängig davon, ob es dabei um den von der CDU geforderten Aufbau einer "Warndatei zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität geht" oder den Ausbau der Kompetenzen des Bundesnachrichtendienstes (BND) bei der Verhinderung "illegaler" Einwanderung. Was die Mitspracherechte der Grünen bei migrationspolitischen Themen anbelangt, so sah Kerstin Müller gegenüber der FR zumindest einmal halbwegs klar: "Es gibt seit längerem eine Koalitions-Arbeitsgruppe. Das Problem ist, dass dort zwar die SPD-Bundestagsfraktion mitzieht, der Innenminister aber etwas zögert und vor allem die Länder-Innenminister blockieren." Übrig geblieben auf der grünen Agenda flüchtlingspolitscher Forderungen ist damit eigentlich nur noch eine: die nach einer so genannten Altfallregelung, im grünen Neusprech seit einigen Wochen "humanitäres Bleiberecht" genannt. Rund 10 000 Menschen, die seit mehreren Jahren in Deutschland leben, könnten in den Genuss einer solchen Regelung kommen - die nach den Wunschvorstellungen der Grünen per Stichtag festgesetzt würde (Jungle World, 45/1999). Dass die Unions-regierten Länder die Regelung am Ende der Woche ablehnen werden, ist so gut wie sicher - was Beck und Müller nicht davon abhielt, von Süddeutscher Zeitung bis taz die rot-grüne Presse mit Interviews zum Thema zu beehren. Doch einen Ausweg, das kennt man ja inzwischen, halten sich Grüne immer offen. Um der Parteibasis am Ende zwar nicht die Altfallregelung, aber wenigstens einen anderen humanitäres Erfolg verkaufen zu können, baute die Fraktionschefin letzte Woche vor. Nachdem Schily angekündigt hatte, dass die ersten der in Deutschland lebenden Kosovo-Albaner noch in diesem Jahr mit ihrer Abschiebung zu rechnen hätten, trumpfte Müller auf: Auf keinen Fall dürfe dies vor dem Jahreswechsel geschehen. Die Frage, ab wann Flüchtlinge zwangsweise in das Kosovo abgeschoben werden, müsse die Koalition im Frühjahr "in Ruhe prüfen". Fällt im Kosovo erst einmal kein Schnee mehr, so das Kalkül Müllers, wird die eine oder andere Abschiebung der Partei schon irgendwie zu vermitteln sein. Schaden jedenfalls wird es den Grünen nicht. Und schon gar nicht der rot-grünen Koalition. Schließlich gibt es ja noch den Atomausstieg. |