Tagesspiegel, 19.11.99 Geduldet oder mit Bleiberecht? Flüchtlingspolitik vergibt schwerverständliche Etiketten für individuelles Leid und Schicksal Silke Edler Wer ist Flüchtling, wer Asylbewerber? Wer bekommt eine Duldung und wer hat - wenn er Glück hat - ein lebenslanges Bleiberecht in Deutschland? Der Begriff "Flüchtling" hat viele Facetten. Da gibt es den Bürgerkriegsflüchtling, den Kontingentflüchtling, den Asylbewerber und die Flüchtlinge, die im "kleinen Asyl" in Deutschland leben. Wie berichtet, äußerte Bundesinnenministers Otto Schily die Ansicht, dass lediglich drei Prozent aller Asylbewerber Verfolgte sind. Dies sind die Menschen, die nach dem Grundgesetz als politische Flüchtlinge anerkannt wurden. Dazu gehören nicht Bürgerkriegsflüchtlinge, die aber in der Regel einen Abschiebeschutz genießen. Gestern beriet die Innenministerkonferenz in Görlitz über das Schicksal abgelehnter Asylbewerber ohne Rückkehrmöglichkeiten. Dazu zählen unter anderem Flüchtlinge aus Jugoslawien. Unter den insgesamt mehr als 60 000 in Berlin lebenden Flüchtlingen, kommen allein 11 743 Bürgerkriegsflüchtlinge aus der Bundesrepublik Jugoslawien. Weitere 12 172 Menschen flüchteten aus dem heutigen Bosnien und Herzegowina und leben in Berlin. Rund 20 000 Menschen, die nach Berlin geflüchtet sind, gelten als "de-facto-Flüchtlinge", unter ihnen hauptsächlich Libanesen und Palästinenser. Diese Menschen leben hier im so genannten kleinen Asyl. Das bedeutet, dass ihre Asylanträge in Deutschland bereits abgelehnt wurden, sie aber aus humanitären Gründen nicht in ihre Heimat abgeschoben werden können. Diese Abschiebehinderung ist in den Genfer Flüchtlingskonventionen festgeschrieben und gilt dann, wenn die Situation in ihren Heimatländern für diese Menschen "de facto" gefährlich ist. Nach den jugoslawischen Bürgerkriegsflüchtlingen bilden Menschen aus der Türkei eine weitere große Flüchtlingsgruppe. Auch aus dem Irak sind bis Oktober dieses Jahres immerhin noch 6795 Personen nach Deutschland gekommen. Darüber hinaus stellen die Situationen in Afghanistan und im Iran für viele ihrer Staatsbürger offenbar immer noch eine Bedrohung dar. Kaum noch ins Gewicht fällt dagegen die Zahl der vietnamesischen Flüchtlinge, die in den 70er und frühen 80er Jahren in großen Gruppen als Boat-People nach Deutschland gekommen waren. Menschen aus der Russischen Föderation flüchten ebenfalls nur noch selten nach Deutschland. Unter ihnen waren häufig Juden, die im geregelten Aufnahmeverfahren hierher kamen und wie Asylbewerber behandelt wurden. Die in diesem Frühjahr aus dem Kosovo geflüchteten Menschen galten als Kontingentflüchtlinge und sind bereits größtenteils in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Kosovaren, die noch in Berlin leben, halten sich zumeist schon seit vielen Jahren in der Stadt auf. Nicht nur diese Flüchtlingsgruppe ist sehr klein geworden. Seit Mitte der 90er Jahre hat die Zuwanderung von Asylbewerbern generell abgenommen. Waren es beispielsweise 1992 in Deutschland noch über 430 000 Asylbewerber, zählte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im ersten Halbjahr dieses Jahres lediglich 46 457 Asylsuchende. Für Innenminister Schily bewegen sich die Asylbewerberzahlen trotzdem noch immer auf einem sehr hohen Niveau. |