Tagesanzeiger (CH), 20.11.1999 Schlechter, als Karl May erlaubt Peter Scholl-Latour hat sich diesmal die Türkei vorgenommen. Das Land ist ihm fremd geblieben. Von Wolfgang Koydl, Istanbul Was hat die Welt nicht alles durchgemacht in den letzten Jahrzehnten: Kriege und Revolutionen, Hungersnöte und ethnische Säuberungen. Grosse Reiche gingen unter, neue Staaten entstanden; und nur ein Mann konnte von sich behaupten, er sei immer und überall dabei gewesen: Peter Scholl-Latour. Der ehdem rasende Reporter und fixe Schnellschreiber hat noch jeden Krieg und jede Krise zwischen zwei Buchdeckel gepresst, auch wenn er die Zusammenhänge selbst nicht recht verstand. Vielen Verlagen scheint es ohnehin zu reichen, wenn sein Foto auf dem Einband prangt und im Titel "Allah" vorkommt. So gewitzt - und geballt - haben Scholl und seine Verleger den Namen des muslimischen Gottes vermarktet, dass einfältigere Gemüter fast auf den Gedanken kommen könnten, der Herr im taubengrauen Hemd auf dem Umschlag sei dieser Allah höchstpersönlich. Nun also hat er (Scholl-Latour, nicht Allah) sich die Türkei vorgenommen, ein Land, von dem er - nach eigenem Eingeständnis - zuletzt Anfang der Fünfzigerjahre einen tieferen Eindruck erhalten hatte. Zwar ist zwischen Bosporus und Ararat derzeit keine lodernde Krise ausgebrochen; gleichwohl befindet sich Kemal Atatürks Staat im Umbruch, und Scholl hat dies mit dem untrüglichen Instinkt des Journalisten und Geschäftsmannes erkannt und flugs gehandelt. Auf drei Reisen binnen elf Monaten frischte er seine angejährten Türkei-Kenntnisse auf und verbriet sie auf gut 400 Seiten. Bei einem solchen Recherche-Tempo ist es freilich kein Wunder, dass sich der flotte Autor selbst darüber beklagt, wie fremd das Land ihm geblieben sei. Scholl-Latour sieht sich selbst nicht als Analytiker, sondern als Berichterstatter, besser noch: als Reisender, der den Leuten daheim am Kamin ein spannendes Garn erzählt. Vielleicht liegt es daran, dass Scholls Wanderungen zwischen Van-See und Istanbul ein wenig an Karl Mays Reise "Zwischen Bagdad und Stambul" erinnern. Was den holprigen Stil angeht, nehmen sich beide Autoren sowieso wenig, und auch in den Methoden scheinen sie sich zu gleichen. May hat sowieso alles frei erfunden, und Scholl gibt zu, dass er zumindest die besten Zitate selbst formuliert und anderen - wie etwa seinem "trefflichen Gefährten Saadet" - in den Mund gelegt hat. Rassistische Untertöne Wenigstens ist Scholl-Latour ehrlich. Ein Freund "politischer correctness", so schreibt er, sei er nie gewesen - als ob es dieses Eingeständnisses noch bedurft hätte. Egal, ob er von "arischen Langschädeln" schwadroniert oder von "untersetzten Männern", die sich "abschmatzen"; ob "stoppelbärtige arme Schlucker" ihm eine "süsse Mehlpampe" vorsetzen, oder eine Kurdin "die grosse kühne Nase ihres Volksschlages . . . wohl chirurgisch auf amerikanischen Standard reduzieren" liess - stets verrät der Zungenschlag rassistische Untertöne. Es ist müssig, sich mit dem Inhalt von "Allahs Schatten über Atatürk" auseinander zu setzen. Wer überhaupt nichts von der Türkei weiss, der mag einen Gewinn aus dem Buch ziehen - sofern er sich durch den schwerfälligen Stil quält, die penetrante Selbstbeweihräucherung des Autors und seine dauernden Querverweise auf frühere Reisen gnädig übersieht, und auch die groben Fehler nicht zur Kenntnis nimmt. Davon finden sich so viele in dem Buch, dass man fast annehmen muss, das Manuskript sei vor Drucklegung nicht einmal gegengelesen worden. |