Frankfurter Rundschau 20.11.1999

Kommentar

Abschied vom Anspruch

Warum braucht man für die Fortsetzung alter Politik eine neue Regierung?

Von Stephan Hebel

Otto Schily hat auch seine Fans. Der Bundesinnenminister, einst Vorkämpfer eines mehr liberalen und weniger repressiven Staatsverständnisses, kann sich den Beifall heute an den weniger intelligent zusammengesetzten Stammtischen der Republik abholen. Seinen Vorschlägen zum Abbau des Asylrechts applaudiert am lautesten die CSU. Seinem Wunsch, die Kosovo-Flüchtlinge im nächsten Jahr aus Deutschland zu werfen, ist die Konferenz der Innenminister gerade gefolgt. Und auch der peinliche Umgang mit "Altfällen", so das hässliche Wort für lange hier lebende Menschen ohne klares Aufenthaltsrecht, liegt auf seiner Linie. Es gab Zeiten, da haben Leute aus dem rot-grünen Lager die alte Bundesregierung zu Recht des Populismus bezichtigt. Sie brachte die Einschränkung des Asylrechts - schon damals mit Hilfe weiter Teile der SPD - mit einem populistischen Argumentationsmuster durchs Parlament: Ausländerfeindliche Stimmungen in der Bevölkerung nahm sie zum Vorwand für ausländerfeindliche Politik nach dem Motto: "Etwas anderes können wir der Bevölkerung nicht zumuten." Auf den Versuch, "der Bevölkerung" Ängste zu nehmen und liberale Politik schmackhaft zu machen, verfielen Kohl und Co. nicht.

Gerade in der Innenpolitik ist Rot-Grün dann angetreten mit dem Anspruch, Populismus durch Politik zu ersetzen. Die Altfall-Regelung von Görlitz, deckungsgleich mit dem früheren Vorgehen der Kohl-Regierung, signalisiert den Abschied von diesem Versuch. Warum man für die Fortsetzung alter Politik eine neue Regierung braucht, werden sich allerdings nicht nur die weniger Intelligenten an deutschen Stammtischen fragen.