Frankfurter Rundschau, 22.11.1999
FDP rückt vom liberalen Asylgesetz ab Döring nutzt Schilys Zahlen und stellt Individualrecht in Frage / Grünen-Proteste Die Asylrechts-Debatte in Deutschland nimmt immer schärfere Formen an. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Walter Döring stellte sich am Wochenende hinter die umstrittenen Thesen von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und brachte erstmals eine "Abschaffung des Individualrechts auf Asyl" ins Spiel. Bisher hatte sich die FDP immer zum geltenden, liberalen Recht bekannt. HAMBURG, 21. November (dpa/afp/ epd). Schily hatte eine Überprüfung gefordert, ob die "Zielgenauigkeit von Asylentscheidungen in unserem System noch gewährleistet" sei und behauptet, nur drei Prozent der jährlich etwa 100 000 Flüchtlinge seien "asylwürdig". 97 Prozent seien lediglich Wirtschaftsflüchtlinge. Führende Grünen-Politiker sprachen Schily am Wochenende indirekt die Befähigung für sein Amt ab und nannten ihn einen "Affen der Rechtsradikalen". Nach Ansicht Dörings führt die aktuelle Asyl-Regelung zu "äußerst kostspieligen und aufwendigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren". Auf einer Tagung seiner Partei in Ulm wiederholte er Schilys Zahlen und konstatierte: "Ein Individualrecht können wir im Hinblick auf die damit verbundenen Probleme nicht mehr gewähren." Ein solches Recht sei "die Aufforderung zum Missbrauch und zur uneingeschränkten und ungeregelten Zuwanderung". Ein Gesetz über die Zuwanderung aus humanitären Gründen gebe mehr Möglichkeiten zu effektiver, zielgenauer Hilfe "als das die schwerfällige Verfassung tun kann". Schilys Äußerungen zum Asylrecht hätten den Peinlichkeitspreis der rot-grünen Bundesregierung verdient, sagte der Fraktionschef der Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen, Roland Appel, der Welt am Sonntag. Wer das Asylrecht auf einen Gnadenakt beschränken wolle, verlasse den Boden der Rechtsstaatlichkeit. "Schily macht sich zum Affen der Rechtsradikalen", fügte er hinzu. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ludwig Stiegler, wies die Kritik an Schily als "unfair" zurück. Sie sei weit überzogen und schädlich für das Binnenklima der Koalition. Die Bundesvorstandssprecherin der Grünen, Antje Radcke, sagte der Welt am Sonntag: "Es wäre hilfreich, einen Innenminister zu haben, der in der Asylfrage nicht mit falschen Zahlen und überzogenen Stellungnahmen operiert". Die Grünen hätten die Entscheidung der SPD für Schily als Innenminister zu akzeptieren. Aber "glücklich" könne ihre Partei nach den jüngsten Äußerungen nicht sein. Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock, kritisierte die Haltung Schilys. Der Begriff "Wirtschaftsflüchtlinge" wecke Ressentiments, gemeint seien aber Menschen, die der Armut entfliehen, sagte der rheinische Präses der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Schilys Wortwahl sei ungeschickt, und die von ihm genannten Zahlen stimmten nicht. "Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die sagen, das ganze Asylrecht sei eine humanitäre Duselei, die wir bald wieder abschaffen müssten", sagte der Ratsvorsitzende. Unterdessen bewertete die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marie-Luise Beck, die Einigung der Innenminister von Bund und Ländern auf eine Härtefallregelung für abgelehnte Asylbeweber ohne Rückkehrmöglichkeit als "Teilerfolg". Von dem Beschluss der Innenminister vom Freitag profitieren etwa 20 000 Menschen, die nicht als Asylanten anerkannt wurden, aber nicht in ihre Heimat abgeschoben werden können. |