Frankfurter Neue Presse, 22.11.1999
Türkei rückte ihrem Ziel EU ein Stück näher Von Paul Ames Istanbul. Abseits der offiziellen Tagesordnung hatte die Türkei beim OSZE-Gipfel ihr ganz persönliches Anliegen: Als Gastgeber wollten die Türken eine gute Figur machen und Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft gewinnen. Am Rande des Treffens suchten sie Kontakt zu den wichtigsten Fürsprechern ihres Anliegens. Das Werben in eigener Sache zahlte sich aus. "In Helsinki, werden sie ,Ja' sagen zur türkischen EU-Kandidatur", zitierte die Tageszeitung "Hürriyet" den französischen Staatspräsident Jacques Chirac am Samstag. Auch von anderer Seite ist den Türken inzwischen unzweifelhaft signalisiert worden, dass sie beim EU-Gipfel in Helsinki im kommenden Monat zum offiziellen Beitrittskandidaten ernannt werden. "Dies ist der erste Schritt zur Mitgliedschaft", sagte Chirac. Bundeskanzler Gerhard Schröder verschaffte der Türkei in Istanbul ebenfalls Auftrieb: "Wir haben die Türkei als EU-Kandidat vorgeschlagen, und wir werden dies in Helsinki wiederholen." Angesichts der Sympathiebekundungen wichtiger europäischer Staats- und Regierungschefs fühlte sich der türkische Außenminister Ismail Cem nach dem Ende des Gipfeltreffens bestätigt: "Die Türkei ist auf dem richtigen Weg." Ganz ähnlich sieht das US-Präsident Bill Clinton. Vor dem türkischen Parlament in Ankara stellte er Anfang vergangener Woche klar, dass bei der EU-Erweiterung seiner Ansicht nach kein Weg an der Türkei vorbeigehen dürfe. "Unsere Vision eines einigen, friedlichen und demokratischen Europas wird nie in Erfüllung gehen, solange nicht die Türkei dazu gehört", sagte Clinton. Und damit sprach er genau das aus, was die Abgeordneten vom mächtigsten Mann der Welt erwartet hatten. Selbst die Griechen haben trotz des Zypern-Konflikts offenbar nichts gegen einen EU-Staat Türkei einzuwenden. Ministerpräsident Konstantinos Simitis deutete in Istanbul an, dass er sich der Ernennung der Türkei als EU-Kandidat auf dem Gipfel am 10. und 11. Dezember nicht in den Weg stellen will. Außenminister George Papandreou sprach folglich von einer historischen Möglichkeit. "Das Klima, das sich zwischen beiden Ländern entwickelt hat, zeigt, dass unsere Völker zusammen leben und zusammen arbeiten können." Trotz der Streicheleinheiten von allen Seiten muss die Türkei vor einem möglichen EU-Beitritt aber noch einige Hindernisse aus dem Weg räumen - und das kann sie nicht allein mit der Fürsprache der Großen dieser Welt schaffen. Da ist zum einen der Kurden-Konflikt, in dem der Türkei Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Da ist zum anderen die schleppende wirtschaftliche Entwicklung, die mit dem Wachstum in anderen EU-Staaten nicht Schritt halten kann. Auch der Konflikt um Zypern muss noch aus dem Weg geräumt werden. Seit 1974 hält die Türkei den Nordteil der Insel besetzt, die zu mehr als 80 Prozent von griechischen Zyprern bewohnt ist. Einige EU-Vertreter haben allerdings ganz andere Vorbehalte gegen eine Türkei in den Reihen ihrer Gemeinschaft. Sie verweisen auf die kulturellen und historischen Unterschiede zu den westlichen EU-Staaten. Ein islamisch geprägtes Land in der EU - für viele ein schwer vorstellbarer Gedanke. Außerdem, so meinen wiederum andere, liege die Türkei zu 97 Prozent in Asien. Und deshalb habe sie in der EU nichts zu suchen. |